Scharf gewürzt

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (09.04.2013)

Ledi Macbet Mzenskowo ujesda, 07.04.2013, Zürich

Nun ist auch die «Lady Macbeth von Mzensk» im Opernhaus Zürich angekommen. Das Stück von Dmitri Schostakowitsch erlebt eine musikalisch hinreissende, szenisch packende Realisation.

Die Menschen: schrecklich, zum Verzweifeln schrecklich. Da wäre also diese junge Frau, Katerina heisst sie, die nur eines im Sinn hat: zu lieben und geliebt zu werden. Natürlich in körperlichem Sinn, vor allem aber auch seelisch – so nämlich, dass sie sich als Mensch wahrgenommen und in ihrer Autonomie respektiert fühlen kann. Der Weg zur Erfüllung dieses Wunsches ist verstellt durch eine verstockt patriarchalische, durch und durch hierarchische Gesellschaft, repräsentiert durch einen brutalen Schwiegervater, durch ein Würstchen von Ehemann und durch eine labile, dem Sieger des Augenblicks nacheilende Umgebung. Wild schlägt sie daher um sich; den Schwiegervater beseitigt sie mithilfe von Rattengift im Pilzgericht, den Ehemann mit dem Gürtel des Geliebten – und wie sie dieser, den sie für ihre grosse Liebe hielt, mit einer anderen betrügt, stürzt sie sich mitsamt der Nebenbuhlerin in die Fluten.

Zugespitzt und zerbrechlich

In der Oper kann es heftig zugehen, aber selten geschieht es so heftig wie in «Lady Macbeth von Mzensk», dem frühen Werk des Russen Dmitri Schostakowitsch, der damit 1936, zwei Jahre nach der erfolgreichen Uraufführung des Stücks, in eine überaus bedrohliche Lebenslage geriet. Bis heute nimmt das Werk eine Sonderstellung ein; als es Alexander Pereira vor knapp acht Jahren in den Spielplan des Opernhauses Zürich aufnahm, wagte er sich nicht an die Originalfassung, er entschied sich für die abgemilderte Version, die unter dem Titel «Katerina Ismailowa» gespielt wurde, bis 1979 die Originalfassung durch Mstislaw Rostropowitsch wieder ans Licht gehoben wurde. Inzwischen hat an der Oper Zürich der ästhetische Wind gedreht, und so zeigt Andreas Homoki als seine zweite Inszenierung an dem von ihm als Intendanten geleiteten Haus das Werk Schostakowitschs in der unverfälschten Version von 1932. Nach den wunderschönen «Drei Schwestern» von Peter Eötvös, und durchaus nicht ohne Zusammenhang mit ihnen, kommt Zürich damit zu einem weiteren Opern-Highlight.

Und das umso mehr, als am Pult des erstklassig agierenden Zürcher Opernorchesters (wie des Chors) Teodor Currentzis steht, der Grieche aus Russland, der mit dieser Premiere ein sensationelles Debüt gegeben hat. Im Gegensatz zu vielen Dirigenten, die in dieser Musik mehr Chaos als Musik, mehr Lärm als Klang erzeugen, hält sich Currentzis ans Skalpell. Mit hellwachem Blick und sensibler Imagination legt er Lineaturen und Farben frei; hörend kann man da nachvollziehen, dass die Radikalität dieser Partitur nicht allein im expressionistischen Ausbruch, sondern ebenso sehr in ihrer hochgradig verfeinerten (und virtuos dargebotenen) Kontrapunktik wie ihrer raffiniert gesteuerten Koloristik liegt – dass sie Kammermusik wie Schrei ist. Nicht zuletzt geht das auf Currentzis' Arbeit im Bereich der historischen Aufführungspraxis zurück, dank der er mit den Bässen zum Beispiel eine Tiefe ganz eigener Art zu erzeugen vermag – und da ein Gutteil der Philharmonia in der Scintilla mitwirkt, gelingt das vorzüglich. Mutig in ihrer Kompromisslosigkeit immer wieder die Zurücknahme des Geschehens auf das Einstimmige, Zarte, Verletzliche. Und optimal kontrolliert die dynamischen Gewichte, selbst in den Momenten zugespitzter Lautstärke. Auch wer «Lady Macbeth von Mzensk» kennt, kann die Oper Schostakowitschs hier neu entdecken.

Mit von der Partie ist eine Banda. Mit ihren scharfen Einwürfen überhöht sie noch das Grelle des Tutti. Nur konsequent, dass sie Andreas Homoki nicht im Off placiert, sondern sie offensiv als eine Gruppe von Clowns ins Bühnengeschehen einbezieht. In ein Bühnengeschehen, das nichts von dem kruden Realismus hat, den Martin Kušej 2006 in Amsterdam verfolgte, das vielmehr ganz auf die scharfe Dichotomie zwischen Unterdrückung und Freiheitsstreben fokussiert und das in einer Umgebung tut, die von der Überzeichnung ins Groteske lebt. Das ist weniger lustig, als es scheint, denn zu lachen gibt es in dieser Oper mit ihren zahlreichen Toten und ihren mehrfachen Vergewaltigungen wahrhaft wenig. Als Grundlage erscheint bei Homoki das Dadaistische, ja Nihilistische – und von da her hat es auch seine Logik, dass im Finale die Insassen auf dem Weg ins sibirische Straflager dieselben Kreaturen sind, die vordem auf dem Gut der Ismailows eingesperrt waren. Dorthin, in dieses Niemandsland von Raum, hat der Bühnenbildner Hartmut Meyer eine langsam ansteigende Rampe, vier kreisrunde Öffnungen und einen langen, hölzernen Körper gestellt: das Luxusgefängnis, in dem Katerina ihr Leben fristet. Der Schritt hin zu Überzeichnung und Groteske wird vorab durch die von Mechthild Seipel gestalteten Kostüme in ihren Rot-, Lila- und Grüntönen wie ihren Anspielungen an den sowjetischen Alltag vollzogen.

Zum Fürchten

Da langweilt sie sich also schier zu Tode, die schöne Katerina, die Gun-Brit Barkmin mit einer sagenhaften Identifikation, ja Selbstaufgabe, und nicht weniger eindrücklichen stimmlichen Mitteln gibt. Aus der Rückschau kann man sagen, dass sich an diesem Anfang ein Tier streckt, das dann zu gewaltigen Sprüngen ansetzen wird. Wie Kurt Rydl als der gewalttätige Boris die Szene betritt, gibt es den ersten Schreck: ein Monster, absolut schauerlich, und das riesige Vibrato des Sängers passt da haargenau. Aber gleich wird dann die eigentliche Stärke der Inszenierung deutlich: die Ausgestaltung der Figuren bis hin in die Einzelheiten der Körpersprache. Kommt ihr Boris zu nahe, zieht Katerina die Schultern zurück und reckt sie das Kinn, das reicht schon. Kein Wunder, zuckt Sinowy, der in seiner Jämmerlichkeit fast bemitleidenswerte «fils à papa», vor seiner Frau zusammen (wobei der helle Tenor von Benjamin Bernheim allerdings eine ganz andere Sprache spricht). Und keinen Zweifel gibt es daran, dass Katerina dem Ekel Sergei von Anfang an verfallen ist – Brandon Jovanovich spielt seine zielstrebige Virilität prächtig und klangvoll aus. Das Triebhafte hat durchaus seinen Platz, bleibt aber opernanständig, wofür Kismara Pessatti als die von der Masse der Knechte vergewaltigte Magd Axinja dankbar sein dürfte. Die Wende zum definitiv Schlechten führt der Schäbige herbei, den Michael Laurenz mit toller Beweglichkeit verkörpert. Rasch ist jener Keller aufgebrochen, in der die Leiche Sinowys verwest, und rasch geht es dann bergab zu jenem Punkt, an dem Katerina die finale Demütigung erleidet. Das Stück ist zum Fürchten; schon allein darum vergisst man es nicht.