Oliver Schneider, DrehPunktKultur (10.04.2013)
„Chaos statt Musik“ war der Titel eines verhängnisvollen Artikels, der in der „Prawda“ 1936 erschien, nachdem Stalin das Werk gesehen hatte. „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dimitri Schostakowitsch wurde für mehr als 25 Jahre von russischen Bühnen verbannt.
Anstoß erregte vor allem die Liebesszene zwischen der unglücklich verheirateten Kaufmannsfrau Katerina Ismailowa und dem nur auf seinen Vorteil bedachten Vorarbeiter Sergej, die den Geschlechtsakt musikalisch minutiös ausdeutet. Schostakowitsch schrieb deshalb in den sechziger Jahren eine Neufassung.
Zu Alexander Pereiras Zeiten spielte man in Zürich bezeichnenderweise noch diese geglättete Zweitfassung. Am Sonntag hatte unter seinem Nachfolger die Urfassung des Werks Premiere. Die Regie des so schicksalbestimmenden Werks in Schostakowitschs Biographie übernahm Hausherr Andreas Homoki selbst.
Die in der Einöde der russischen Provinz angesiedelte Handlung lässt Homoki örtlich unbestimmt in einem abgeschlossenen Oval mit einem rostbraunen Container auf der Drehbühne spielen. Wie immer steht auch dieser geschlossene Raum für die Unausweichlichkeit des Schicksals. Zwar gibt es vier große Öffnungen in der Rückwand und im Boden, jedoch werden sie immer wieder nach Zu- und Abgängen der Protagonisten und des Chors (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) mit großen Bällen verschlossen (Bühne: Hartmut Meyer). Eine zeitliche Verortung in den dreissiger Jahren in Russland deuten die Kostüme an (Mechthild Seipel).
Richtigerweise hat sich Homoki auf die Personen konzentriert, die er in ebensolcher Schärfe zeichnet, wie es die Musik vorgibt. Katerina Ismailowa ist von Anfang an eine Frau, die eigenen Willen zeigt und sich nicht bedingungslos der männlichen Macht unterordnet. Der Mord an ihrem Schwiegervater und später an ihrem Mann wecken gegenüber dieser Frau keine Abscheu, sondern Verständnis. Gun-Brit Barkmin ist für diese Rolle mit ihrem Bühnentemperament und ihrer expressiven, etwas grellen Stimme eine Idealbesetzung.
Aber Katerina sucht auch händeringend nach einem Mann, den sie lieben kann. Ihr schwächlicher, fast lächerlicher Ehemann (ausgezeichnet Benjamin Bernheim) mit hängenden Schultern, in Kniebundhosen und mit karierten Strümpfen ist ohnehin nur die Marionette seines vom Alkohol gezeichneten Vaters. Dieser Machtmensch, dessen Orden an bessere Zeiten erinnern, will Katerina zeigen, wer der Herr im Haus und im Bett ist. Kurt Rydl hat den widerlichen Schwiegervater, den Katerina, nachdem er sie vergewaltigt hat, mit Rattengift in den Pilzen tötet, bereits 2009 an der Wiener Staatsoper gesungen. Für ihn ist der Boris die ideale Partie zum jetzigen Karrierezeitpunkt.
Brandon Jovanovich gibt den Sergej mit sicher geführtem Tenor, bei dem Katerina Liebe und Geborgenheit sucht. Doch Sergej ist charakterlich nicht besser als Boris oder alle anderen Männer um Katerina herum, ihm geht es um Sex. Was Katerina auf dem Weg nach Sibirien ins Gefangenenlager erfahren muss, wenn Sergej ihr ihre Wollsocken für seine neue Geliebte Sonetka abluchst. Homoki hat auch den kleineren Partien – wie dem angetrunkenen Popen, dem clownesken Schäbigen, dem korrupten Polizeichef, der berechnenden Sonetka – viel Aufmerksamkeit gewidmet; und das Opernhaus kann für diese Rollen auf ein adäquates Ensemble zählen. Die Blechbläser-Banda macht Homoki zu ins Geschehen integrierten Clowns, womit er der auf des Messers Schneide verlaufenden Grenze zwischen Tragischem und Groteskem der Handlung und der Musik Ausdruck verleiht.
Am Pult der Philharmonia Zürich steht erstmals Teodor Currentzis, der junge griechische Dirigent und Direktor der Oper im russischen Perm, der im Jänner bei der Mozartwoche mit den Wiener Philharmonikern seine Mühe hatte. Ganz anders jetzt in Zürich. Currentzis weiß mit ungeschminkter Klarheit, schneidender Härte und genauso lautmalerischer Sensibilität in Schostakowitschs von grellen Gegensätzen gekennzeichnete Klangwelt einzutauchen. Er hat die heikle Akustik des kleinen Hauses im Griff, so dass auch die Forte-Extreme der Partitur nie zu laut klingen. Seine Erfahrung in der Barockmusik und in der Klassik ist hier genauso wie in der Differenziertheit durch alle Stimmen hörbar. Die Philharmonia Zürich fühlt sich unter seiner Leitung merklich wohl.