Herbert Büttiker, Der Landbote (09.04.2013)
«Lady Macbeth von Mzensk» kostete Schostakowitsch einst fast das Leben, weil sie Stalin genierte. Eine Herausforderung ist das Werk geblieben. Im Opernhaus zu erleben ist aber eine umwerfend musizierte, schrill-schöne Produktion, die an der Premiere begeisterte.
Das Opernhaus hat seit dieser Saison nicht nur einen neuen Intendanten, sondern mit ihm auch einen grossartigen Regisseur. Nach dem «Fliegenden Holländer» präsentiert Andreas Homoki mit Dmitri Schostakowitschs «Lady Macbeth von Mzensk» bereits seine zweite Inszenierung, bestechend in der Präzision der Erzählung auf dem schmalen Grat von finsterem Realismus und Groteske und durchwegs begeisternd, was die Zusammenstellung seines Teams betrifft: Teodor Currentzis, der Dirigent, der aus dem sibirischen Perm kommt, ist gut für ein alles andere als unterkühltes Musizieren. Er leuchtet die spektakuläre Partitur nach allen Seiten üppig aus, treibt ihre dynamische Gewalt auf die Spitze, aber differenziert und kontrolliert in den grossen Spannungsverläufen, in denen auch das Leise, ja die Stille vibriert. Dabei kann er sich auf Chor und Orchester verlassen, die aufs Äusserste gefordert sind und keine Überforderung kennen.
Erstklassig bis in die Nebenrollen hinein ist die Besetzung der Protagonisten, wobei diese Oper bei aller vorlauten Dominanz einer rohen Männerwelt dann doch der Titelpartie gehört. Und da hat das Opernhaus mit Gun-Brit Barkmin eine Darstellerin und Sängerin, die kein Wünsche offenlässt: Bewundernswert, wie sie nach aller expressiven Wucht immer wieder und auch in der letzten Szene noch zu den innigen lyrischen Tönen findet, wie sie dieser Frau durch verletzten Stolz, entfesselte Leidenschaft und Aggression die seelische Integrität bewahrt, in der die Mörderin in ihrer Welt als der einzige menschliche Mensch erscheint.
Keine Macht-Lady
Dass Katerina Ismailowa mit dem Titel der Oper (respektive der literarischen Vorlage von Nikolai Leskow) als Lady Macbeth bezeichnet wird, führt leicht in die Irre: Das Rattengift verabreicht sie Boris, ihrem gewalttätigen Schwiegervater, der sie demütigt und sexuell bedrängt. Sinowij, ihren Mann, mordet sie zusammen mit ihrem Liebhaber Sergej, als er die beiden überrascht und sich die Gewaltspirale zu drehen beginnt. Aus Verzweiflung springt sie am Ende, nun von Sergej gedemütigt und verlassen, in den Fluss und reisst dessen spöttische neue Gespielin mit. Nicht der Machthunger, sondern der Liebeshunger treibt diese Frau an, und die Katastrophe ist eine Männerwelt, in der es Liebe allenfalls, wie im Falle Sergejs, als berechnende Heuchelei gibt, sonst aber nur Gewalt und sexuelle Gier.
Für all das hatte bereits der junge Schostakowitsch (1906–1975) sein unglaubliches kompositorisches Handwerk: wunderbare lyrische Momente für Katerina, Schmachtfetzen für Sergej und ein kolossales Arsenal an dumpfer und greller Motivik und peitschender Motorik für Sex und Gewalt, die sich in der musikalischen Faktur gleichen – Pornofonie war eines der Schimpfwörter für diese unzweideutige Musik. Und auf ihre Deutlichkeit setzt Homokis Inszenierung mit einem Geniestreich: Die Banda von Blechbläsern, die Schostakowitsch für die Höhepunkte hinter der Bühne einsetzt, wird hier zum Teil der Szene und gibt der Fratze der wilden Triebe das schreiend bunte musikalische Gesicht. Damit zeigt sich auch das Verhältnis von Musik und Szene von der anderen Seite. Statt dass die Musik die Szene untermalt, erhellt diese, was in der Musik steckt, die Schostakowitsch gleichsam von der Strasse aufgelesen und im Musikbetrieb seiner Zeit gefunden und zugespitzt hat. Kein Wunder, dass die Demaskierung Stalin missfiel. Dieser besuchte die Oper 1936, zwei Jahre nach der Uraufführung, und liess danach den vernichtenden, für Schostakowitsch lebensbedrohlichen Artikel in der «Prawda» erscheinen.
Obszön und abstrakt
Der Aufmarsch der clownesken Banda passt hervorragend in die Inszenierung. Diese betont die Satire in den Kostümen (Mechthild Seipel) aus vielen Uniform-Versatzstücken der Sowjetära und zirkushaften Ingredienzien, und sie di- stanziert sich von der naturalistischen Milieuschilderung auch mit Hartmut Meyers grosszügig- abstrakter Bühne, deren obszöne Symbolik mit ihren Rohröffnungen, in die sich rote Kugeln schieben und leer als gaffende Augen leuchten, umso drastischer wirkt.
Das weite Halbrund der Szenerie lebt auch von starken Lichteffekten (Franck Evin), und Homoki nutzt die Rampe und den rohen Stahlcontainer, der Gehäuse und erhöhte Spielfläche ist, für dynamische Auftritte des Chors und für eine prägnante Personenregie: Hoch auf dem Container hat selbstverständlich Boris seinen Auftritt mit Peitsche und herrisch rauem Ton, den ihm Kurt Rydl verleiht; um die Ecken drückt sich Sinowij, sein jämmerlicher Sohn, den Benjamin Bernheim gekonnt als lächerliche Comic-Figur gibt. Für seinen virilen Gegenspieler, dem Brandon Jovanovich mit tenoraler Verve den Charme des Frauenhelden gibt, ist der Container schon fast Turngerät, und auf wie viele Arten man hinter der Tür in dieses metallene Gehäuse verschwinden oder aus ihm heraustreten kann, zeigt sich im (Liebes-)Spiel mit Katerina.
Satirisch und tragisch
Die hohe Rampe kommt gerade auch Schostakowitschs reinsten Witzfiguren gelegen: dem versoffenen Popen (Pavel Daniluk) und dem dumpfdreisten Polizeichef (Valeriy Murga), und am Ende dient sie dazu, Katerinas Sprung ins Wasser effektvoll zu inszenieren: Da nun ist allerdings aller Witz aus: Der letzte Akt ist ein grosses Lamento der Gefangenen auf dem Weg nach Sibirien – Mahnmal und Trauer des Komponisten über eine Welt, die Menschen, die für sich nur gerade ein ganz normales Glück haben wollen, über die Rampe gehen lässt.