Diese Mörderin hat alle Sympathien auf ihrer Seite

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (09.04.2013)

Ledi Macbet Mzenskowo ujesda, 07.04.2013, Zürich

Eine starke Frau und viel Klamauk: Andreas Homoki zeigt mit Schostakowitschs «Lady Macbeth von Mzensk» seine zweite Inszenierung am Zürcher Opernhaus.

Eine Massenvergewaltigung ist lustig: Männer spielen gruppendynamische Spielchen, eine dralle Köchin wird herumgereicht, es gibt eine wilde Choreografie der Hände und Becken, man grölt und schreit, und das Orchester veranstaltet einen grandiosen Krach dazu.

Wir sind in der Oper «Lady Macbeth von Mzensk», die Dmitri Schostakowitsch selbst als «tragisch-satirisch» bezeichnet hat. Die meisten Regisseure tendieren zum Tragischen, und sie haben ihre Gründe: Neben der Vergewaltigung gibt es in dieser Oper drei Morde, einen Liebesverrat, einen Suizid. Opernintendant Andreas Homoki dagegen, der den Zürchern sein Flair fürs Unterhaltende schon im «Fliegenden Holländer» vorgeführt hat, setzt auf die Satire, und auch dafür gibt es gute Argumente. Die Musik ist oft überzogen schrill, überspitzt obszön, etliche Protagonisten sind blanke Karikaturen. Der spätgeile Boris, sein schwächlicher Sohn Sinowii, der betrunkene Pope: Da kann man leicht auf die Idee kommen, auch das Personal auf Boris’ Hof bestehe nicht aus währschaften Landarbeitern, sondern aus Liftboys, Parteisoldatinnen, einem Batman-Verschnitt und Sadomaso-Krankenschwestern (Kostüme Mechthild Seipel).

Aber da gibt es ja noch die Hauptfigur, die Katerina Ismailova. Eine tragische Figur, an der auch Homoki nichts Spassiges findet (und finden will). Hartmut Meyer hat ihr ein tristes Zuhause gebaut, mit einem rostigen Container und seltsamen Durchgängen, die zuweilen von fleischroten Plastikkugeln verstopft werden (Assoziationen sind zweifellos erwünscht). Hier träumt sie nun von allem, was sie nicht hat: von wahrer Liebe und gutem Sex. Und man kann es ihr nicht verdenken, dass sie ihrem Schwiegervater Boris ein wenig Rattengift in die Pilze gibt und zusammen mit ihrem Geliebten Sergej den Gürtel um den Hals des Gatten Sinowii zuzieht.

Dass man sich in dieser Inszenierung sofort auf ihre Seite schlägt, ist der Vorteil der satirischen Sicht. Und es entspricht diesem Werk, das nicht nur wegen seiner Sympathien für eine Mörderin aus dem Rahmen fällt. Aussergewöhnlich war auch der Erfolg der Oper, die nach der Uraufführung 1934 rasch in ganz Europa nachgespielt wurde, 1936 auch in Zürich. Und ebenso aussergewöhnlich war die Härte, mit der Stalin gegen sie vorging, nachdem er sie am 26. Januar 1936 erstmals gesehen hatte. «Chaos statt Musik» lautete der Titel des Artikels in der «Prawda», den der Diktator entweder selbst verfasst oder zumindest bestellt hatte und der klarmachte: Wer solche Opern schrieb, dessen Leben war in Gefahr.

Brutal und sanft

Schostakowitsch, damals 30 Jahre alt und längst geübt mit künstlerischen Versteckspielen, entzog sich der Staatsmacht wie allen späteren Deutungsversuchen auf seine Weise: mit Werken, die so widersprüchlich und vielschichtig erscheinen, dass man die Haltung des Komponisten kaum entschlüsseln kann. Auch die «Lady Macbeth von Mzensk» arbeitete er um, glättete die Instrumentierung und kürzte jene überaus konkrete Blechbläser-Szene, die als «Beischlafmusik» für Aufregung gesorgt hatte. 1963 kam diese sanftere Version unter dem Titel «Katerina Ismailowa» auf die Bühnen - in Zürich war sie 2005 zu sehen, als man anderswo längst wieder die Urfassung spielte.

Bei Homoki gibt es nun diese Urfassung, inklusive der «Beischlafmusik», die von Clowns in einer Art Teletubby-Kostümen auf der Bühne getrötet wird. Mindestens so bemerkenswert sind allerdings die leisen Momente, von denen es auch in dieser ersten Version viele gibt. Die extremsten Experimente seiner Oper «Die Nase» hatte Schostakowitsch damals schon hinter sich; hier fand er zwischen Exzessen in Blech und anderen Brutalitäten zu einem kantableren, sinfonischeren Stil.

Betörend schön, weich und sanft klingt die Musik, wenn sie von Katerinas Sehnsüchten erzählt. Und der Dirigent Teodor Currentzis gestaltet diese Momente bei seinem phänomenalen Debüt mit der Philharmonia Zürich mit derselben Leidenschaft, mit der er es anderswo knallen lässt. Von den Bässen her baut er den Klang auf - die Figuren mögen den Boden unter den Füssen verlieren, musikalisch ist er immer da. Wenn Kurt Rydl als Boris den röhrenden Russen gibt oder der Chor phonstark aufs Ganze geht, sorgt das Orchester nicht für zusätzliche Effekte, sondern für den Zusammenhalt. Und wenn die Holzbläser ihre Linien ziehen, wenn die Streicher sich in einer sirrenden Fuge verfolgen, dann bleibt dabei immer dieser dunkle Grundton, der die ganze Aufführung prägt.

Es ist der Ton der Katerina, also der Gun-Brit Barkmin. Mit klar geführtem Power-Sopran und vollem Körpereinsatz gibt sie diese Einsame, Liebende, Mörderin, Betrogene und macht wie schon als Salome die emotionalen Wechselbäder hör- und noch mehr sichtbar: wenn sie mit stählerner Stimme die vermeintliche Lösung ihrer Probleme feiert und dann erschrickt, weil ihr die Toten in den Träumen erscheinen. Oder wenn sie all das Unangenehme wegküssen will und nicht merkt, dass ihr Sergei längst genug hat von ihr. Sie klammert, er gähnt: Das Ende einer Liebe, die nur für sie eine war, ist der leiseste, anrührendste Moment in dieser Inszenierung.

Die komische Folie ist zu dick

Denn auch Brandon Jovanovich als Sergej, der als Einziger in dieser stark besetzten Produktion seine Partie bereits früher gesungen hat, ist ein Glücksfall. Er, der in der Vergewaltigungsszene aus purem Testosteron zu bestehen schien, schafft den Sprung zum komplexen Charakter - mit einem dunkel gefärbten Tenor, der seinen Ambitionen zumindest phasenweise einen ehrenwerten Anstrich gibt.

Er schafft, im letzten Bild, dann auch wieder den Sprung zurück zur Satire. Da ist man im Gefangenenlager, zusammen mit der ganzen kuriosen Gesellschaft von Boris’ Hof, die nun verängstigt vor dem Container steht. Und endgültig klarmacht, wo der Haken in dieser Inszenierung liegt: Die komische Folie ist zu dick, als dass die Tragik dahinter zu ihrer Wirkung kommen könnte. Man glaubt dieser Komikertruppe das Leiden nicht, und schlimmer noch: Man interessiert sich nicht dafür. Sie stehen halt da, während sie vom Marsch nach Sibirien singen und die Musik ihnen die Schritte eigentlich vorgeben würde - was solls. Dass Katerina sich von der Brücke respektive vom Container stürzt, dass sie Sergejs neue Geliebte (Julia Riley) dabei mit in den Tod reisst, wird daran nichts ändern.

Die Satire hat gewonnen. Und das Publikum applaudiert begeistert.