Hohle Phrasen Belcanto gesungen

Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (21.03.2006)

La Favorite, 19.03.2006, Zürich

Mit Gaetano Donizettis «La Favorite» zeigt das Zürcher Opernhaus eine Belcanto-Rarität. Das Premierenpublikum war nicht allzu begeistert.

Gaetano Donizettis «La Favorite», eine eigenartige Mischung aus italienischem Belcanto und französischer Grande Opéra, hat nicht nur ein reichlich abstruses Libretto, auch die Musik wirkt zwitterhaft. Das Star-Ensemble unter der energischen Leitung von Marc Minkowski hat das Beste daraus gemacht. Trotzdem verliessen einige der Premierengäste am Sonntagabend schon vor dem Applaus demonstrativ den Raum.

Klischiert und stereotyp

Vesselina Kasarova hat mit dem verstorbenen Marcello Viotti «La Favorite» in einer Studioproduktion auf CD eingespielt - nun singt sie die Partie erstmals in einer szenischen Produktion in Zürich. Doch wie kommt eine Persönlichkeit wie Kasarova dazu, ein derart klischiert stereotypes Werk von musikalisch zwiespältiger Qualität zu portieren? Die feinen Zwischenstufen, die man von Donizetti sonst kennt, die fehlen hier jedenfalls, und seine Anbiederung an den französischen Stil wirkt befremdend.

Léonor ist die «Favorite», sie ist die Maîtresse des Königs. Und der König selbst will in seiner ersten Arie all seine Macht und seinen Ruhm opfern, um sie zu heiraten. Das derart aufgebauschte Liebesgefühl schwindet aber schnell; beim erstbesten Widerstand lässt er sie fallen. Da ist aber noch der Mönch Fernand, der sich in sie verliebt und sein Zölibat und damit das Klosterleben aufgeben will. Er heiratet sie, ohne zu wissen, dass sie die Maîtresse des Königs war. Als er es erfährt, ist sein Ehrgefühl tief verletzt. Auch da schwindet die Liebe sehr schnell, und die Frau, um die sich alles dreht, ist nichts als ein Spielball dieser Hahnenkämpfe und männlichen Moralverdrehungen.

Hochstilisierte hohle Phrasen

Und diese werden in sehr langatmigen, zum Teil auch schönen Arien breitgewalzt, hohle Libretto-Phrasen werden pathetisch zu Ehrgefühl hochstilisiert. Marc Minkowski geht dieses Werk zum Glück in der für ihn typischen energischen Gangart an, fordert vom Orchester höchste rhythmische Virtuosität und übertreibt gerne etwas in der scharfen Artikulation und Dynamik. Denn laut wird's beim sonst an Barock-Besetzungen gewöhnten Minkowski an diesem Abend sehr schnell und unerbittlich. Das bedrängt die Belcanto-Sänger stellenweise bis zum Forcieren.

Dabei kommt es aber auch zu brillanten Orchestereinlagen, zum Beispiel im Vorspiel zum zweiten Akt, in welchem die Flöten ein elegantes und vifes Ständchen geben. Überhaupt kommt den Bläsern eine wichtige Funktion zu: man hört gut die Mischung von Ventil- und archaischeren Natur-Trompeten, und anstelle der Tuba kommt ein leichter und eleganter klingendes «Ophikleide» als Bassinstrument zum Einsatz. Das ergibt reizvolle Klangfarben, die Minkowski ebenso auskostet wie das Überspitzen von Tempo und Artikulation.

Mit leicht ironischer Distanz

Für die Inszenierung dieses «unmöglichen» Stücks hat Philippe Sireuil mit seinem Ausstattungsteam (Vincent Lemaire, Bühnenbild; Jorge Jara, Kostüme) eine geschickte Lösung gefunden. Auch wenn nicht wirklich durchkommt, dass er die Geschichte als Traum von Fernand umsetzt, er vermag trotz eleganter Ausstattung mit präzisen Details das Geschehen zu brechen und so eine leicht ironische Distanz herzustellen. Beim Auftritt der Grazien zum Beispiel, welche «entzückend» die Liebe besingen. Sireuil lässt sie in einer Art geschwungenem Segeltuch von oben herabgleiten, so richtig kitschig und doch auch komisch.

Oder dann die Choreografie der Balletteinlage von Avi Kaiser. Sie ist alles andere als französisches Grande-Opéra-Ballett; es ist ein moderner, die Rolle der Frau als Spielball deutlich machender Ausdruckstanz. Oder dann der Moment, als Fernand um seine verlorene Ehre ringt: da schiessen plötzlich Torero-Spiesse rund um ihn herum aus dem Boden - eine köstliche Brechung des für einen Mönch unmöglichen und erst noch pseudospanisch kolorierten Heldengesangs.

Kasarovas herrliche Stimme

Doch natürlich lassen sich an diesem Abend auch herrliche Stimmen geniessen. Vesselina Kasarova wirkte anfangs zwar noch recht statisch, steigerte sich jedoch im zweiten Teil in ihren Arien, in welchen sie bei den Herren, und dabei vor allem beim ins Kloster zurückgekehrten Fernand, um Vergebung bettelt. Und sie stirbt sogar, um zu vermeiden, dass Fernand, der plötzlich wieder für sie aufflammt, einen Frevel gegen Gott begeht. Hier kann man Kasarovas herrlich kraftvolle und farbenreiche Stimme geniessen - aber nur, wenn man den Text nicht mitliest.

Szenisch etwas unbeholfen wirkt Fabio Sartori als Mönch und als Kriegsheld Fernand. Sein Auftritt wirkt immer etwas trottelig, doch er verfügt über ein echt betörendes, warmes Timbre in seiner weitatmigen Stimme. Daneben hat es Roberto Servile als König Alphons XI. schwerer, es fehlte ihm gegenüber dem schmetternden Orchesterklang etwas die Kraft, und die Artikulation wirkt undeutlich, ja mulmig. Carlo Colombara jedoch konnte in der Rolle des Klosterabts all seine Qualitäten als tiefgründiger Bass ausspielen, mit enormer Strahlkraft auch in den tiefsten Tiefen. Zudem gelang es den beiden Nebenfiguren Don Gaspar (Eric Huchet) und Inès (Jaël Azzaretti), eine agile stimmliche Vitalität einzubringen.