Herbert Büttiker, Der Landbote (28.05.2013)
Eine so kalte Dusche gab es für den Dirigenten und die Regie im Opernhaus noch selten. Der neue «Don Giovanni» ist denn auch ein ziemlich kühles Elaborat – mit einigen starken Figurenporträts.
Die heftige Buh-Attacke auf den Dirigenten überrascht dann doch. Da war doch auch viel Flüssiges, Pointiertes, schön Phrasiertes in diesem Musizieren. Aber da ist eben die grosse Unlust am Ganzen, die sich entlädt, und das Orchester La Scintilla, das nicht unter dem Schutz einer grossen Dirigentenautorität agiert, klingt an diesem Abend tatsächlich eher trocken. Intonationstrübungen fallen mehr auf als sonst, und wenn es unter dem jungen Robin Ticciati temperamentvoll spielt, mischen sich Ungenauigkeiten ein, zumal im Zusammenspiel mit der Bühne. Sinnlich prickelndes und blühendes Musizieren wäre etwas anderes. Bewusst ausgehebelt wird es von den dissonanten und zerfaserten Secco-Rezitativen – ein fragwürdiges Experiment gegen die klangvolle Artikulationslust der gesungenen Rede.
Don Giovannis Masken
Und was ist von der «Genialität der Sinnlichkeit», von der einst Kierkegaard sprach, auf der Bühne geblieben? Wir sehen Don Giovanni in einer glutäugigen Tiermaske aus den Gemächern der Donna Anna fliehen, dann erscheint er in Weiss und sieht mit der mönchischen Kapuze wie ein Sektenguru aus. Zum Fest färbt er sich mit viel Schminke zum androgynen Punk-Rocker um und gibt auch den schwarzen Priester, der ein gefesseltes Mädchen schlachtet, dass das Blut spritzt. Den Steinernen Gast empfängt er als faunischer Gott mit Widdergeweih an der fürstlichen Tafel mit Schweinsköpfen und Penisskulptur.
Dass Don Giovanni auch in Unterwäsche einen Auftritt hat, versteht sich da von selbst, und eines zeigt dieser Überblick: An erzählerischem Potenzial fehlt es der Inszenierung von Sebastian Baumgartner nicht. Aufwendig und detailreich ist auch die Ausstattung von Barbara Ehnes. Sie zeigt einen modernen Kirchenraum, in dem so eine Art Amish People den Religionskitsch pflegt. Mit Eifer kommen die Leute in rosa Overalls und hellblauen Schürzen – das dokumentiert schon das auf das Bühnenportal projizierte Video zur Ouvertüre – dem Herstellen grossflächiger frommer Spruchbänder nach. Die Fantasie der Kostümbildnerin Tabea Braun kulminiert im bizarr-bunten Festaufzug der Musikanten und der maskierten Diener und Gäste im Finale des ersten Akts.
Dem Einwand, in diesem Raum brauchte es zur Rebellion nur einen jungen Mann, der sich den Bart rasiert, und keinen Don Giovanni, kann man vielleicht dagegenhalten, wir hätten es nicht mit Realismus zu tun, sondern mit einer symbolhaften Bühne des Lebens. Was man bei der enormen Verwandlungsenergie vermisst, die sich da zeigt, ist aber zweierlei: zum einen die Lust an der Sache – als ob es darum gegangen wäre, ein Programm durchzuexerzieren, das Sinnlichkeit unter den Mahntafeln der Todsünde denunziert.
Zum andern fehlt: Don Giovanni, der Mann aus Fleisch und Blut hinter der Maske, die Person, die sich in der Gesellschaft bewegt, mit ihr spielt, von ihr gejagt wird, der sterbliche Mensch, das lebensgierige Individuum in der Rebellion gegen die ihm gesetzten Schranken. Es verwundert wenig, dass es Peter Mattei, dessen Don Giovanni gerühmt wird, hier kaum gelingt, als attraktive und abstossende Ausnahmefigur zu bewegen und zu faszinieren. Und was dann die verführerische Musik seines Duettinos mit Zerlina oder der Canzonetta im zweiten Akt betrifft, so vermisst man in der Kantilene die Magie der Stimme und schlicht auch die reine Intonation.
Faxen und Kapriolen
Da Herr und Knecht ja eins sind, verwundert auch wenig, dass Ruben Droles Leporello hier zum Theaterlustkiller des Abends werden muss. Er verausgabt sich mit knorriger Stimme in einer Behinderten-Karikatur als hinkender Pastor und ist einfach nicht witzig, sondern forciert. Ironischerweise ist in dieser Inszenierung der Steinerne Gast, von Rafal Siwek stimmstark verkörpert, die realere Figur, als es Don Giovanni und Leporello mit ihren Faxen und Kapriolen sind.
Ein Funkenschlag vom Himmel und die üppige Tafel brennt: Don Giovannis Höllenfahrt ist mit Video- und Pyrotechnik ein opulent angerichtetes szenisches Spektakel, aber auch nicht mehr. Mozarts radikale Musik untermalt in der Sektenkirche nur eine Show, nach der Don Giovannis Kontrahenten im Sekten-Blau-Rosa zur Verkündigung der Moral von der Geschichte schreiten können. Wenigstens hatten sie zuvor dank der Begegnung mit dem Wüstling ihre eigene Farben, und dass die Aufführung ihnen diese gibt, kann dann doch immer wieder auch für die Fadheit im Ganzen entschädigen.
Die andere Seite
Da sind Anna Goryachovas Zerlina, stark und warm in der Ausstrahlung ihres Mezzosoprans, Erik Anstine als aufbrausender Masetto, Julia Kleiter mit dramatischer Verve für Elvira. Und sehr schön zeigen, gestützt auch von einer überraschend liebevoll ironiefreien Regie, Marina Rebeka mit glänzendem, allerdings auch eher gleissend-monochromem Sopran und Pavol Breslik mit unangestrengt weitatmigem Tenor das Paar Donna Anna und Don Ottavio, das für alles das steht, woran der Held der Oper keinen Anteil hat: Empathie, Noblesse, Warmherzigkeit und all die Sozialität, die eben ihren Preis hat. Das wird auf berührende Art deutlich und sprengt ebenso wie Don Giovannis Anarchie den engen Kreis, den die Inszenierung zieht.