Hauptsache: das Gegenteil

Tobias Gerosa, Basler Zeitung (28.05.2013)

Don Giovanni, 26.05.2013, Zürich

Ein musikalisch unausgegorener Mozart-«Don Giovanni» am Opernhaus Zürich

Die neue Direktion am Opernhaus Zürich hat sehr gut begonnen, als zweitletzte Premiere ihrer ersten Saison zieht sie den ersten Schuh voll heraus. Und zwar primär musikalisch. So ungenau wie am Sonntag hat man das Orchestra La Scintilla noch an keiner Premiere gehört. Sind das Auswirkungen des Engagements letzte Woche bei den Salzburger Pfingstfestspielen? Dirigent Robin Ticciati macht dabei keinen sicheren Eindruck. Der Engländer ist erst Anfang dreissig und schon bei allen grossen Orchestern gefragt, im «Don Giovanni» beschränkt er sich lange aufs Begleiten.

Todestonart, Drängen? Fehlanzeige, und dafür gabs in Zürich einige laute Buhs. Klar gibt es schöne Details, aber auf Dramatik muss man lange warten. Länger, als die Sänger es aushalten, die von einigen Tempi überrascht scheinen und – der hochgefahrene Orchestergraben macht das Hörbare auch sichtbar – kaum Unterstützung von Ticciati erhalten. Kann noch spannendes Musiktheater entstehen, wenn auf der Bühne jeder einfach sein Ding durchzieht (so gut das dann an sich auch wäre)?

Konstant zu tief

Martina Rebekka präsentiert als Donna Anna ihre Wunderstimme eindimensional und unbeteiligt. Pavol Bresliks feiner Don Ottavio kämpft ausser in seinen Arien immer darum, gehört zu werden. Ruben Drole (Leporello) scheint primär mit dem Hinkebein und der rutschenden Brille beschäftigt, die ihm Kostümbildnerin Tabea Braun verpasst hat, und Peter Mattei in der Titelpartie intoniert ausser in den lautesten Stellen konstant zu tief, dass man sich schon zu fragen begann, ob das eine neue Art sei, eine Figur musikalisch zu charakterisieren. In diesem Umfeld haben es auch die gut besetzten Nebenfiguren und Julia Kleiters gerade in ihrer Kontrolliertheit und Tonschönheit fulminante Donna Elvira schwer.

Was zählt ihre Auszeichnung als beste Einzelleistung in einer Kollektivaufgabe wie der Oper, bei der man sich auch fragen muss, wie sich Szene und musikalische Interpretation beeinflussen? Regisseur Sebastian Baumgarten integriert die Continuo-Spieler als Kirchenmusiker auf der Bühne, löst die Rezitative dann aber radikal auf. Mal verbreitet die Orgel sakrale Atmosphäre, dann müssen die Sänger mit unstrukturiertem Geklimper zurechtkommen. Auch sonst bürstet die Regie das Stück gegen den Strich, mit überbordender Fantasie und barocker Üppigkeit stellt sie den Libertin Don Giovanni einer rigiden, den amerikanischen Amish People nachgebildeten Sekte entgegen.

Libertin im Tempel

Alles spielt in ihrem aseptischen, von Personal in knallpinken Overalls geputzten Tempel. Auf der Rückwand werden die Szenen in Brecht’scher Manier mit Schrifttafeln kommentiert: 13 (Tod-)Sünden summieren sich dort, bis Don Giovanni per Lift in die Hölle fährt. Baumgarten nimmt das Moralitätenspiel, auf dem Mozart/Da Pontes Version beruht, durchaus ernst, wenn er es ironisch mitinszeniert und Giovanni drastisch als das Gegenteil der überkontrollierten Gesellschaft zeigt. Er ist pralle Jesusfigur und Hexenmeister (der bei seinem Ritualmord das Fläschchen falschen Bluts schwingt), Karnevalsteufel und Todessüchtiger, der sich Masettos Waffen freiwillig ausliefert.

Die Überforderung ist Programm, es wird betont kommentierend inszeniert; bisweilen überlagern sich Schrifttafeln, Videos (Chris Kondek), Spiel und Musik. Das ist zu viel an Ideen, zu wenig Figurenzeichnung, sobald eine Arie etwas länger dauert, aber es wirft einen neuen Blick auf ein bekanntes Stück. Ohne musikalische Seite, die mitzieht, verpufft die Mühe im Proteststurm des Premierenpublikums gegen die Regie.