Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (28.05.2013)
Sebastian Baumgarten versucht sich im Zürcher Opernhaus an Mozarts «Don Giovanni». Er produziert damit den ersten wirklichen Absturz der Intendanz Homoki.
Den Geist des Komturs hätte es gar nicht mehr gebraucht. Als er auftaucht, um Don Giovanni in die Hölle zu holen, ist dieser schon längst erledigt: von einem Regisseur, der nichts als seine eigene Kühnheit zelebriert. Und von einem Dirigenten, der sich nicht dagegen wehren mochte.
Bisher hatte man Don Giovanni ja für unsterblich gehalten, so vieles hat er schon überlebt. Er war gut und böse und alles zwischendrin, er war Hippie oder Graf, Banker oder auch nur eine Leerform für die Wünsche der anderen Figuren. Die Frauen im Stück haben sich gegen ihn gewehrt oder ihn begehrt, die Männer haben ihn bewundert, gehasst, imitiert, ignoriert. Selbst mittelmässige Regisseure und Dirigenten haben ihm nichts anhaben können. Er war stärker.
Viele Bilder für das Nichts
Bis jetzt. Bis Sebastian Baumgarten sich überlegt hat, was ihm zu dieser Oper einfällt, und feststellen musste: nichts. Aber das kann man ja nicht zugeben, dafür erhält man kein Honorar. Also füllt man das Nichts mit vielen Worten, erklärt Don Giovanni im Programmheft gleichzeitig zur Utopie und zur zu überwindenden Vergangenheit und den daraus resultierenden Widerspruch zum Grundprinzip historischer Dialektik. Und man füllt die Bühne mit bedeutungsschweren Bildern - irgendwie wird sich eine Bedeutung ja dann schon einstellen.
Nein, tut sie nicht. Ratlos sieht man zu, wie sich Don Giovanni als Guru oder Satanist gebärdet, wie Barbara Ehnes’ Bühne sich dreht und das Stück zerbröselt. Und man fragt sich: Weshalb spielt das Ganze in einer Kirche? Was sollen die Fingerzeichen in Chris Kondeks Videos? Wieso trägt Don Ottavio eine stilisierte Nazi-Uniform? Ist Donna Anna eine Prostituierte oder bigott oder beides? Wie stehen die Figuren zueinander, abgesehen davon, dass jedes Verhältnis irgendwie verkorkst ist? Weshalb sollen wir uns für all die Sektenbrüder, Maskendamen und anderen Psychopathen interessieren? Warum sind Tabea Brauns Kostüme so demonstrativ unvorteilhaft? Wieso heisst Michel de Montaigne auf der eingeblendeten Männer-Liste Michel de la Montaigne? Ist es Blasphemie, hier Ignoranz zu vermuten?
Aber das sind alles Detailfragen, die Grundfragen stehen spätestens seit Sebastian Baumgartens missglücktem Bayreuther «Tannhäuser» von 2011 im Raum: Warum nur wird er so hoch gehandelt als Opernregisseur? Und was treibt ihn, den Schauspielmann, zurück zu jener Kunstform, bei der er einst gestartet ist?
Die Liebe zur Musik kann es nicht sein, jedenfalls bei diesem «Don Giovanni». Baumgartens Urteil über Mozart ist dasselbe wie einst jenes von Kaiser Joseph II.: zu viele Noten. Also weg damit. Die Rezitative wurden gekürzt, und weil so der musikalische Zusammenhang nicht mehr stimmt, werden sie nicht gesungen, sondern gesprochen, gezischt, gebellt. Für die Begleitung hat Baumgarten einen Cembalisten/Organisten und eine Cellistin im Messgewand auf die Bühne gesetzt, wo sie sich notgedrungen kreativ betätigen. Also irgendetwas vage Zeitgenössisches andeuten.
Man kann da gut weghören und an andere Aufführungen denken, in denen die Rezitative durchaus auch nicht stilgerecht gespielt wurden. Christoph Marthaler liess einmal ein Mozart-Rezitativ auf zwei Bierflaschen blasen, Ingo Metzmacher begleitete am Synthesizer, und beides hat funktioniert, weil es musikalisch sorgfältig gedacht war und szenisch geschickt aufgefangen wurde.
Auch an Philippe Jordan denkt man, der einst auf eine Salzburger «Così fan tutte» und damit auf einen Karrieresprung verzichtet hat, weil die Regisseure das Continuo-Cembalo auf der Bühne platzieren wollten. Er brauche die Kontrolle über die Rezitative, begründete er damals, weil sich in diesen ja die Gefühle entwickeln, die sich dann in den Arien entladen.
Immer wieder neu starten
Vielleicht hätte auch Robin Ticciati auf sein Zürcher Debüt verzichten sollen. Der 30-jährige Londoner gilt als begabter Nachwuchsdirigent, Simon Rattle hat ihn gefördert, 2014 wird er das illustre Glyndebourne Festival übernehmen. Hier nun hat er die undankbare Aufgabe, die Scherben von Mozarts Partitur zusammenzufegen, also das Orchester bei jedem Einsatz wieder von null auf neu zu starten. Das gelang bei der Premiere mal besser und mal schlechter, insgesamt hat man das exzellente Orchestra La Scintilla noch selten so matt und unausgeglichen gehört. Die Violinen gingen unter, die Bläser spielten Wichtiges und Nebensächliches gleichermassen laut, die Koordination mit der Bühne war Glücksache.
Denn natürlich haben auch die Sängerinnen und Sänger Schwierigkeiten, nach den Leerstellen der Rezitative in die Gänge zu kommen, vom Sprechen wieder aufs Singen umzustellen und die richtige Tonart zu finden. Am geschicktesten schlägt sich Ruben Drole als Leporello, der sich darstellerisch und vokal gleichermassen expressiv durch den Abend rettet. Julia Kleiter zeigt immerhin in einzelnen Momenten, dass sie eine grosse Donna Elvira wäre, und Peter Mattei hat den Don Giovanni schon so oft gegeben, dass er den ganzen Karneval auf solidem Niveau durchsteht. Die übrigen geben sich und haben Mühe.Aber sie alle wurden bejubelt nach der Premiere, als wollte das Publikum sie entschädigen für die Strapazen. Oder vielleicht ging es auch um den Kontrast zu den Buhs, die man nachher platzieren wollte und die bei Ticciati heftig waren und bei Baumgarten brutal. Immerhin, einzelne tapfere Bravos gab es auch.Hat Zürich nun also einen veritablen Opernstreit oder gar einen Skandal? Aber nicht doch. Nur eine Aufführung, die man am besten ganz schnell vergisst. - So. Schon passiert.