Herbert Büttiker, Der Landbote (15.04.2013)
Mozarts «Idomeneo» wird im Theater Basel als Comic-Bilderbuch aufgeblättert, das in die Golgatha-Szenerie mündet – ein Gewicht, das die Musik und ein eindrückliches musikalisches Team zu tragen vermögen.
Der Anstoss zur jüngsten Beschäftigung des Theaters Basel mit Mozarts «Grand Opéra» kam vom Basler Barockorchester «La Cetra» und seinem Leiter Andrea Marcon. Mit dem 1781 uraufgeführten «Idomeneo» ist das auf feine, bewegliche Bläser und transparenten Streicherklang geeichte Ensemble mit einem Stück konfrontiert, das die Opera seria deutlich hinter sich lässt und gerade das Orchester zu einem dominierenden dramatischen Faktor macht. Mit Sturmmusik und Chorszenen, mit Ensembles wie das grossartige Quartett im dritten Akt, mit einer fast baritonal gesetzten Tenorpartie für die Titelfigur ist sogar viel Vorahnung einer Musikdramatik des 19. Jahrhunderts zu konstatieren – es ist immer von Neuem bewegend, wie sehr diese musikalische Avanciertheit aus der Tiefe des behandelten Stoffes, seiner Figuren und seines ideellen Gehaltes, hervorzutreten scheint: einer um Geschichte um Gottes- und Menschenbilder in einer kriegerischen Welt, deren finsteres Gesetz durch die Liebe in einem utopischen Licht respektive dank der «Voce» eines Deus ex machina gebrochen wird.
Starke musikalische Kontraste
Die neueste Basler Produktion machte neugierig durch das junge, hoch gehandelte Inszenierungsteam um den Schauspielregisseur David Boesch, das im langen Werk seine Zeit brauchte, bis es zur szenischen Verdichtung fand. Uneingeschränkt spannend hingegen präsentierte sich an der Premiere die Hörbühne. «La Cetra» packte mit einem temporeichen und stringenten Spiel, erfüllt von blühendem Innenleben, klangschönen, momentweise (Sturmmusik) auch zu diskreten Holzbläsern. Marcons temperamentvolles Dirigat führte den Orchesterklang gleichsam auf die Bühne, wo ein musikalisch ausgeglichenes und starkes Ensemble agiert, mit sehr präsentem Chor und einem stimmig besetzten Team. im Zentrum von Vater und Sohn gestaltete der Tenor Steve Davislim einen ergreifend sensiblen und kraftvollen Idomeneo und die Mezzosopranistin Solenn’ Lavanant-Linke mit funkelnden Tönen einen leidenschaftlichen Idamante. Für den perfekten Kontrast zwischen Idamantes Verehrerinnen sorgten Laurence Guillod mit leuchtend reiner Kantilene als anmutsvolle Ilia und Simone Schneider mit der souveränen Verve ihres dramatischen Soprans als Elektra. Ihrem effektvollen Arienabgang galt der Jubel des Abends.
Szenisch überzeugt das Ensemble in den drei Akten zunehmend, weil sich die Regie in der gesteigerten Emotionalität des Geschehens stärker auf die Figuren als solche konzentriert. Zumal der erste Akt ist dagegen ein Parcours darstellerischer Beschäftigungstherapie. Was nicht alles am Strand, der im ersten Akt der Schauplatz ist, an Spielzeug herumliegt! Spielzeugmöwe, Ballonherz, Benzinkanister, Feuerzeug, ein Beil, der obligate Theaterteddybär und vieles mehr kommt zum Ariengesang ins Spiel und etikettiert deren Inhalt.
Dick aufgetragen
Die plakative Simplizität dieser Betriebsamkeit ist freilich gewollt und verbindet sich mit der Projektion eines naiv-expressiven Comics, der die Bühne belebt (Bühne, Video und Kostüme: Falk Herold). In den besten Momenten des Abends ist das von einer eigenen Poesie, die sich allerdings zunehmend ans Horrorgenre anlehnt. Kostüm- und Maskenbildnerei veranstalten eine Blutorgie – dies auf einer Bühne, die sich nicht scheut, Golgatha zu zitieren und Idamantes im letzten Moment abgewendete Opferung vor dem Kreuz stattfinden zu lassen. Das ist angesichts von Mozarts hintergründiger Sohnesopfergeschichte nicht per se falsch, ritzt aber, dick aufgetragen und gewaltsam ins vermieste Lieto Fine mündend, wohl doch die Glaubwürdigkeit.