Kein Glück darf nicht sein

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (15.04.2013)

Idomeneo, Rè di Creta, 12.04.2013, Basel

Mozarts Oper «Idomeneo» wird am Theater Basel kräftig umgedeutet und stark gesungen

«O glückliches Kreta! O ich Glücklicher!» Das sind die letzten Worte des Kreterkönigs Idomeneo in Mozarts gleichnamiger Oper. Sein Glück beendet eine lange Phase der Verzweiflung und ist das Ergebnis eines übermenschlichen Gnadenakts. Denn der König hatte versprochen, als Preis für seine Rettung aus den Meeresfluten den ersten Menschen, dem er begegnet, zu töten. Und das ist fatalerweise sein Sohn Idamante. Dieser kann nun nach der Lösung dieses Gelübdes König werden und seine Geliebte Ilia als Braut in die Arme schliessen. Happy End total.

Davon ist auf der Basler Bühne nicht viel zu sehen. Hier hat der deutsche Regisseur David Bösch das Stück umgekrempelt und die Handlung in einen rabenschwarzen Pessimismus getaucht, streng nach dem ungeschriebenen Gesetz des modernen, aber allmählich altbacken wirkenden Regietheaters: Kein Glück darf nicht sein. Der alte König bricht am Ende zusammen, nachdem er sich offenbar selbst vergiftet hat. Auch das junge Brautpaar sinkt aus unbekannten Gründen auf dem Friedhof nieder, in den die Regie den königlichen Garten verwandelt hat.

Vorher schon hat sich Elettra, die vergeblich um Idamante geworben hatte, nicht nur wütend verabschiedet, wie es im Libretto heisst, sondern gleich die Pulsadern aufgeschnitten. Darunter macht es ein heutiger Opernregisseur eben nicht.

Arbace, ein vertrauter Ratgeber des Königs Idomeneo, fährt zumindest im ersten Akt im Rollstuhl auf der Bühne herum, permanent in einem blauen Schlafanzug. Eine dem Alkohol verfallene halb verblödete Beckett-Figur. Dass diese Partie in der Darstellung durch den Tenor Karl-Heinz Brandt auch stimmlich zur Persiflage verkommt, entbehrt nicht einer gewissen Logik.

Knallcharge und Kindskopf

Offenbar können sich alternde Sänger, die Mozarts Koloraturen nicht mehr sauber hinkriegen, nicht gegen den Missbrauch als Knallchargen wehren. Übrigens erleben wir auch den König Idomeneo als ziemlich grenzwertigen Charakter. Als er sich der Tatsache bewusst wird, dass er seinen Sohn wird umbringen müssen, vollzieht er den Tötungsakt als Ersatzhandlung an einem Stofftier. Ganz schön infantil, der Kreterkönig!

Die Aufführung hat einen starken Anfang, der sich dann aber irgendwie verliert, wie wenn dem Regieteam der Treibstoff ausginge. Während der vom Barockorchester La Cetra unter Andrea Marcon rhythmisch packend gespielten Ouvertüre sehen wir einen Trickfilm, in dem uns Comicfiguren die Vorgeschichte der Oper erzählen. Das lässt auf eine ästhetisch attraktive, ungewöhnliche, poetische Umsetzung dieser Opera seria aus dem Jahr 1780 hoffen. Und tatsächlich gehört das Bühnenbild von Patrick Bannwart und Falko Herold, der auch die hervor­ragenden Videos gemacht hat, zu den erfreulichen Aspekten dieser Opernproduktion.

Man ertappt sich beim Gedanken, das Theater hätte doch die ganze Inszenierung mitsamt ihrer kruden Figurenzeichnung weglassen und nur das grandiose Bühnenbild mit seinen elementaren, märchenhaft einfachen Zeichen und den verblüffenden Projektionen (Sterne, Kreuze, Blumen, Vögel) übrig lassen können. Wüsste man nicht, dass im Theater das eine nicht ohne das andere zu haben ist. Immerhin scheint auch der Regisseur der Idee des Konzertanten, Oratorischen etwas abgewinnen zu können, lässt er doch im Es-Dur-Quartett des dritten Aktes die Figuren Idomeneo, Idamante, Elettra und Ilia wie in einer konzertanten Aufführung auf der Bühne stehen und ins Publikum singen.

Wenigstens wird gut musiziert an diesem über dreieinhalbstündigen Opernabend. Abgesehen vom schwächer gewordenen Theaterchor, der zum Schleppen neigt und in «Numi pietà!» im ersten Akt fast unhörbar ist, stehen profilierte Sängerinnen und Sänger auf der Bühne. Steve Davislim ist ein prominenter Idomeneo, dessen kerniger Tenor sowohl zum ruhigen Lyrismus als auch zur virtuosen Koloraturenakrobatik taugt. Als seinen Sohn Idamante erlebt man die aus dem Basler Opernstudio hervorgegangene Mezzosopranistin Solenn’ Lavanant-Linke mit ebenmässig geführtem, konditionsstarkem Mezzosopran und engagiertem Spiel – eine glaubwürdig jungenhafte Erscheinung.

Spritzige Streicher

Ebenfalls vom Opernstudio Oper­Avenir her bekannt ist Laurence Guillod, die mit ihrer sehr schlanken ­Stimme einnehmend die trojanische Prinzessin Ilia verkörpert und nur im Rhythmischen noch mehr Sicherheit erlangen könnte. Die hochdramatische Partie der Elettra wurde in der Pre­miere von Simone Schneider gesungen, die zu Recht für ihre starke ­Darstellung Szenenapplaus erhielt. Kleinere Par­tien werden von Hans Schöpflin und Alexey Birkus gesungen und gespielt.

Ein Gewinn ist auf jeden Fall die Mitwirkung des Barockorchesters La Cetra unter seinem Leiter Andrea Marcon. Aus dem Graben kommen spritzige Streicherklänge, markante Blechbläsersätze und ein federnd-vitales Schlagzeug mitsamt Windmaschine und Donnerblech. Die Sänger auf der Bühne ­haben höchst verlässliche Partner im Orchestergraben. Daran, dass die Inszenierung freudlos und inkonsequent bleibt, können die tüchtigen Musiker nichts ändern.