Ein Sturm der Gefühle fegt durchs Haus

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (15.04.2013)

Idomeneo, Rè di Creta, 12.04.2013, Basel

Mozarts «Idomeneo» am Theater Basel ist musikalisch ein herausragendes Ereignis. Die Regie kann nicht mithalten

Vom ersten Ton an ist da eine packende Dramatik. Die Ouvertüre von Wolfgang Amadé Mozarts «Idomeneo, Re di Creta» erklingt an der Premiere im Theater Basel als spannende Klangerzählung – der Geschichte des aus Troja siegreich heimkehrenden Königs Idomeneo sowie der Liebe zwischen seinem Sohn Idamante und Ilia, der einzigen Überlebenden der trojanischen Herrscherfamilie. Um sich aus Neptuns Fängen – dem Sturm – zu retten, gibt Idomeneo das Gelübde ab, einen Menschen zu opfern. Es trifft Idamante.

Starke Emotionen

Dirigent Andrea Marcon und La Cetra Barockorchester Basel geben dem Sturm der Gefühle, der hier tobt, aufwühlende Gestalt – dies mit kompaktem, transparentem Orchesterklang, der auf starkem Fundament baut. Marcon leuchtet die Partitur bis in ihr Innerstes aus. Die agilen La-Cetra-Musikerinnen und -Musiker spielen rhythmisch elastisch, entfalten farbenreich die Emotionen. So stark und lebendig haben wir Mozarts erste grosse Oper von 1781, mit der er Neuland betritt, in diesem Haus noch nie gehört. Und wir erleben ergreifenden Mozart-Gesang, schillernde Koloraturkunst und packende Rezitativgestaltung. Steve Davislim ist mit seinem markanten Tenor ein ausgezeichneter, in sich zerrissener Idomeneo, herrisch und verzweifelt in einem. Solenn’ Lavanant-Linke brilliert als Idamante. Affektreich und geschmeidig in den Höhen zeichnet die Mezzosopranistin den Jüngling in seiner ganzen Emotionalität und Menschlichkeit. Laurence Guillod ist eine zarte, leidenschaftliche Ilia, deren Liebe zu Idamante über die Wut auf die Griechen siegt. Ihre Rivalin Elettra wird von Simone Schneider mit richtigerweise schneidender Stimme gestaltet. Sie bringt die seelischen Abgründe, ihre Eifersucht, auch ihre kurze Glückshoffnung stark zum Ausdruck. Ihre Schlussarie geht unter die Haut. Karl-Heinz Brandt ist ein alter Arbace, der sich wendig zwischen den emotionalen Fronten bewegt, und wendig singt er seine Arien. Grossartig der Theaterchor: vital und wandlungsfähig zwischen jubelndem und gepeinigtem Volk.

Dass die Inszenierung David Böschs und seiner Ausstatter Patrick Bannwart und Falko Herold mithält, darauf hoffen wir während der Ouvertüre. Per Video erzählen sie dazu die Vorgeschichte der Oper, lassen die Figuren als Marionetten – des Machtgefüges, des Krieges, auch ihrer eigenen Psyche – auftreten. Das ist von hintergründigem Humor und brechtscher Verfremdung.

David Bösch inszeniert «Idomeneo» als ein Nachtstück. Das ist in sich schlüssig. Und gut führt er die Marionetten-Metaphorik weiter. Bösch neigt aber zu einer trashigen Ästhetik und verliert sich in eine Unzahl von Einfällen und Metaphern, alles ist überdeterminiert. Weshalb muss Idamante in seiner Wut, dass der Vater ihn zurückweist, Fussball spielen? Das sagt uns nichts zum existenziellen und zentralen Vater-Sohn-Konflikt. Der allein kommt in der Körpersprache der beiden genügend zum Ausdruck. Manches ist eindimensional gezeichnet, so Elettra als Personifizierung des Dunklen.

Kraftvolle Bilder

Von ungleich grösserer Erzählkraft sind die als bewegte Bühnenbilder geschaffenen Videos von Bannwart und Herold: Da bläst ein riesiger Neptun-Kopf zum Sturm. Im szenisch stärksten zweiten Akt verwandelt er sich in eine böse Fratze, aus der Blut rinnt. Und Idomeneo gerät in seiner Verzweiflung in einen Mahlstrom. Das sind starke Bilder. Wenn Elettra vom Glück mit Idomeneo träumt, erscheinen fliegende weisse Tauben. Aber Bösch verdoppelt das Bild, raubt ihm dadurch die Poesie.

Der bildliche Vergleich von Idamante mit Christus stimmt nicht. Der Königssohn verkörpert zwar Unschuld und Humanität, die geopfert werden sollen, aber er ist kein Heilsbringer. Dem widerspricht Bösch selbst mit seinem Schluss: Idomeneo bringt sich um. Idamante bricht ob der Last der Königskrone und des Verlusts des Vaters zusammen. Um das lieto fine zu unterlaufen, gäbe es schlüssigere Möglichkeiten.

Doch die Solisten und der Chor mit ihrer Intensität sowie La Cetra entwickeln eine so mitreissende Dramatik, dass der Abend doch zum Kunst-Ereignis wird.