Wahre Abgründe

Martina Wohlthat, Neue Zürcher Zeitung (16.04.2013)

Idomeneo, Rè di Creta, 12.04.2013, Basel

Andrea Marcon dirigiert Mozarts «Idomeneo» in Basel

Man könnte sich manchmal fragen, was an Opernhäusern zu der Entscheidung führt, gerade diesen Regisseur mit jenem Dirigenten für ein bestimmtes Stück zusammenzuspannen. Vermutlich werden solche Entscheidungen vom Wunsch nach einer Verjüngung der Oper durch frisches Theaterblut beeinflusst. Am Theater Basel jedenfalls zeigt sich, dass die Verbindung zwischen dem derzeit von vielen Häusern umworbenen Jungregisseur David Bösch und dem Barockspezialisten Andrea Marcon als Dirigent in Wolfgang Amadeus Mozarts Oper «Idomeneo» nicht wirklich fruchten kann. Zu verschieden sind die ästhetischen Voraussetzungen. Am Premierenabend erlebte man einen breiten Graben zwischen der vom Barockorchester La Cetra unter Marcons befeuernder Leitung in aller Nuanciertheit dargebotenen Mozartschen Musik und dem banalen Bilderfundus einer jugendlich unerschrockenen Inszenierung, die direkt aus der Welt von Playmobil und Horrorfilm zu stammen schien. – Nach dem Ende des Trojanischen Krieges kehrt König Idomeneo nach Kreta zurück und ist durch den Krieg zur Kampfmaschine geworden: Wenn die Situation es erfordert, opfert er kaltblütig unschuldiges Leben. Den Sturm hat er überlebt, weil er Neptun das erste Wesen, das ihm am heimischen Strand begegnet, als Opfer versprochen hat. Das ist ausgerechnet sein Sohn Idamante – in der Oper folgt nun ein Sturm der Gefühle, droht der innere Schiffbruch.

Kinderzimmer-Ästhetik

Zur Ouvertüre sieht man einen hübschen Film mit dem Charme des Selbstgebastelten, der die Rettung der trojanischen Prinzessin Ilia aus dem Meer zeigt – ein Puppenspiel wie aus der Augsburger Puppenkiste. Das Bühnenbild von Patrick Bannwart und Falko Herold aus Brettern und Sand unter funkelndem Sternenhimmel eignet sich für diesen spielerischen Zugang, der zu den jugendlich frischen Stimmen von Laurence Guillod (Ilia) und Solenn' Lavanant-Linke (Idamante) passt. In einer Art Kinderzimmer-Ästhetik hat der Regisseur David Bösch viele, mitunter auch zu viele Einfälle, die mit dem herumliegenden Spielzeug von den Sängern abgearbeitet werden. Das führt in den Arien zu viel Bewegung, aber auch zu Unruhe und leerem Aktionismus.

Im Zentrum stehen das ambivalente bis abweisende Verhalten des Vaters gegenüber dem Sohn und die Frage, wie der Sohn sich vom moralisch beschädigten Vater lösen kann. Seit Idomeneo den fatalen Schwur geleistet hat, herrschen auf Kreta Tod und Verderben, nun wollen die Untertanen wissen, warum. Idomeneo hat etwas versprochen, was er nach dem Gesetz der Natur nicht halten kann. Die Tragödie nimmt ihren Lauf, bis Prinzessin Ilia, die ihren Idamante mit naiver Hingabe liebt, den entscheidenden Satz singt: «Die Götter sind keine Tyrannen, der Himmel will Griechenland von seinen Feinden, nicht von seinen Söhnen befreien.» Der Himmel vergibt Idomeneo, Idamante soll König werden.

Der Regisseur glaubt nicht an dieses im Schlusschor euphorisch besungene Happy End. Auf der Bühne herrscht familiäre Zerrüttung – der Vater vergiftet sich, der Sohn ist am Boden zerstört, die tapfere Braut traumatisiert, ihre Rivalin Elettra hat sich zuvor bereits mit geöffneten Pulsadern ins Jenseits befördert. Wo die Inszenierung fast zum Stillstand kommt, sucht sie ihr Heil in projizierten Bilderbuchillustrationen, setzt auf viel Theaterblut und klischeehafte Gesten.

Achtsamkeit und Leidenschaft

Die Musik wird dagegen sorgsam und leidenschaftlich interpretiert. Das beginnt beim transparenten, leicht aufgerauten Klang der historischen Instrumente und gipfelt in Andrea Marcons Fähigkeit, die Brillanz der Orchesterbehandlung unmittelbar zur Wirkung zu bringen. Die Sturmszenen werden mit Windmaschine und Donnerblech zum akustischen Ereignis. Mozarts «Idomeneo» hat hier tatsächlich einen Fuss in der Barockzeit, und die Sängerinnen und Sänger nehmen diesen stilistischen Ansatz mit ihren schlanken, koloraturbeweglichen Stimmen auf. Steve Davislim bewährt sich mit sicherem lyrischem Tenor und einigen heldenhaften Tönen in der anspruchsvollen Titelpartie. Die wahren Abgründe aber zeigen sich in der von Simone Schneider glutvoll gesungenen Abschiedsarie der Elettra. Hier gehen einem Herz und Ohren auf.