Chantal Steiner, VOX SPECTATRITIS (13.02.2006)
Nach einem eher dürftigen Saisonbeginn hat nun das Opernhaus Zürich in Folge einige Highlights auf die Bühne gebracht. Nach „Harley“, „Peter Grimes“ und „Orlando“ durfte sich gestern das Premierenpublikum an einer sehr ansprechenden „Finta Giardiniera“ erfreuen.
Auch wenn einige der Gäste monierten, die Musik sei zum Einschlafen, so kann ich das beim besten Willen nicht nachvollziehen. Sicher, die Aufführung dauert (trotz einiger Kürzungen) 3 ½ Stunden. Das Jugendwerk von Mozart weist bisweilen Längen auf. Nach dem Geschmack seiner Zeit ist die Komposition mit entsprechend vielen Textwiederholungen ausgestattet. Und das Libretto ist auch kein grosser Wurf: Zu konfus ist der Verlauf, zu unlogisch sind bisweilen die Situationen, und die Charaktere sind eher oberflächlich abgebildet und verhalten sich nicht wirklich schlüssig.
Trotzdem gelingt es Regisseur Tobias Moretti in seiner 2. Opernregie (wenn man die konzertante „Zaide“ ausklammert), dieses Stück schlüssig umzusetzen. Auch wenn für mein Empfinden einige Slapstick-Einlagen etwas zu holzhammermässig ausfallen, so entspricht Moretti damit doch dem heutigen Zeitgeist: Das Publikum lacht laut und amüsiert sich bestens. (Wenn Nardo allerdings in seiner Verzweiflung einen Kaktus rasiert, so habe ich eher Mitleid mit dem Kaktus als mit dem Gärtner. Ich kann nur hoffen, dass es kein echter war…)
Rolf Glittenberg schafft wieder einmal ein wunderbar ästhetisches Bühnenbild: eine Art Patio in einem feudalen herrschaftlichen Haus. Der Diener Nardo, der die vermeintliche Gärtnerin Sandrina (die in Wirklichkeit die Gräfin Violante Onesti ist) begleitet, ist selbst Gärtner und kümmert sich um Kakteen. Er ist verliebt in das Dienstmädchen Serpetta, die von ihm jedoch nichts wissen will, weil sie ein Auge auf Don Anchise (Il Podestà) geworfen hat. Dieser hat eine Nichte, Arminda, welche er mit dem Conte Belfiore vermählen will. Letzterer hatte in einem Anflug von Leidenschaft die Gräfin Onesti tätlich angegriffen. Da er annahm, sie ermordet zu haben (!), floh er. „Sandrina“ versucht (aus Rache oder aus Liebe?), seine Spur aufzunehmen und hat sich deswegen als Gärtnerin einstellen lassen. „Zufällig“ begegnen sie sich beim Podestà. Um das ganze Wirrwarr noch unübersichtlicher zu machen, wohnt in diesem Hause auch noch Ramiro, ein ehemaliger Liebhaber von Arminda, der sie noch immer liebt... Dreimal darf jetzt geraten werden, welche Paare sich am Schluss der Oper zusammenfinden!
So verworren das auch klingt, erstaunlich feministisch ist doch der Text. Die Männer sind allesamt ziemliche Weichlinge; die Frauen haben das Zepter in der Hand. Einige der (witzigen) gesprochenen Zwischentexte dürften der Feder von Moretti entsprungen sein. Die Musik von Mozart ist wunderbar leicht, trägt die Komödie, schlägt aber auch in Ernsthaftigkeit um oder wird poetisch, symphonisch (beim Erwachen der beiden Liebenden Violante und Belfiore z.B.). Obwohl Mozart dieses Werk bereits 1774 komponierte, sind daraus bereits „Figaro“ und „Così“ wie auch „Don Giovanni“ zu erahnen.
Nikolaus Harnoncourt nähert sich dem Stück mit grosser Ernsthaftigkeit. Er sieht in dem Stück mehr als „nur“ das „dramma giocoso“. Er lotet die Partitur – wie bei ihm üblich – bis ins kleinste Detail aus. Man mag beim jungen Mozart vielleicht etwas mehr Verve und Leichtigkeit erwarten, vielleicht auch etwas schnellere Tempi; die Harnoncourt’sche Deutung ist jedoch absolut schlüssig. Umwerfend sind z.B. die Piani, die er dem hervorragend disponierten (bis auf einige Patzer bei den Bläsern) Orchester „La Scintilla“ entlockt. Den Sängern breitet er einen Klangteppich aus, auf dem jeder sich bestens zurechtfindet, er vermag die Spannung aufzubauen und das Stück im zweiten, weniger buffonesken Teil nach der Pause nicht abflachen zu lassen.
Auch sängerisch gibt es nicht viel zu bemängeln. Einzig mit dem Buffo Podestà, der von Rudolf Schasching verkörpert wird, habe ich meine liebe Mühe: Dass er die Rolle über-chargiert, kann ich noch akzeptieren. Seine Darbietung hat allerdings sängerisch herzlich wenig mit Mozart zu tun. Da wird mir zu wenig gesungen und mit zu viel Sprechgesang agiert. Trotzdem herrlich die Arie „Dentro il mio petto io sento“, in der er im „Zwie-gespräch“ mit dem Orchester seinen Gemütszustand anhand von Musikinstrumenten illustriert. Ganz hervorragend hingegen Eva Mei, die sich immer mehr zu dramatischeren Rollen hinbewegt. Sie verkörpert die vermeintliche Gärtnerin stets würdevoll, ganz Gräfin, und mit grosser Grazie. Bei den Pianissimo-Stellen springt die Stimme bisweilen zwar nicht immer optimal an, dies mag aber am (Erd-)Staub liegen, der auf der Bühne aufgewirbelt wird, denn das Piano war bis anhin immer ihre Stärke. Ebenfalls grandios ist der Belfiore von Christoph Strehl, der seinen lyrischen, mozartgeschulten Tenor wunderschön aufblühen lässt. Herrlich auch sein komödiantisches Talent und seine Art, sich zu bewegen. (Die Personenführung von Moretti sei hier hervorgehoben). Auch Isabel Rey als zu Gewalttätigkeiten neigende, egozentrische Nichte ist absolut rollendeckend. Ihr Sopran perlt glockenhell, auch wenn die Spitzentöne ab und an etwas scharf wirken. Eine Entdeckung, die es sich zu merken gilt, ist Julia Kleiter als Serpetta; jung, spritzig, frech – eine Stimme mit Potenzial. Für die erkrankte Liliana Nikiteanu sprang kurzfristig Ruxandra Donose in der Hosenrolle des Ramiro ein. Sie fügte sich ausgesprochen gut ins homogene Ensemble ein und verfügt über eine angenehm timbrierte, wenn auch nicht übermässig grosse Stimme. Ramiro ist keine wirklich ergiebige Rolle, doch bewältigte sie alle Anforderungen spielend. Oliver Widmers Nardo lebt von seinem komödiantischen Talent. Herrlich die Arie „Con un vezzo all’ italiana“, in der er polyglotte Fähigkeiten zeigt und auf Italienisch, Französisch und Englisch Serpetta zu umwerben versucht. Allerdings steht sein französischer Text so nicht im Libretto (kein Verweis auf „fondue chinoise“ u.ä.!).
Ein vergnüglicher Abend also, mit wunderschöner Musik, einem homogenen Ensemble und einer Inszenierung, die das schwierig umzusetzende Werk zugänglich macht. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert. Ob da nicht ein bisschen Harnoncourt-, Moretti- und Mozartbonus mitschwang, bleibe dahingestellt. Ein einzelner Buhrufer musste sich ganz am Schluss beim Regieteam noch „profilieren“. Die meisten anderen gingen fröhlich und beschwingt nach Hause, nicht ohne zu staunen, was in der Partitur eines doch so jungen Komponisten bereits alles verpackt ist.