Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (28.05.2013)
Das Opernhaus Zürich präsentiert «Don Giovanni» als blutgetränkte Parabel in einer religiösen Gemeinschaft.
Leicht bekleidet und mit Reitpeitsche bestückt tritt Donna Anna auf die Szene, neben ihr Don Giovanni in schwarzem Zottelpelzkostüm mit Ganzgesichtsmaske und damit sängerisch kaum verständlich. So beginnt Sebastian Baumgartens Inszenierung. Es ist der Abend des schauspielerischen Verwandlungsgenies Giovanni (grossartig gemimt von Peter Mattei), der einmal als Sektenführer, dann als schlachtender Punk oder als rotflammig gehörnter Schlemmer erscheint. Das kaleidoskopische Bühnengeschehen (mit Video von Chris Kondek) ist dabei teilweise derart dominant, dass es die Musik zu überdecken droht.
Kein Stargehabe
Wenn da nicht Robin Ticciati wäre, der junge Heisssporn, der am Pult des formidabel spielenden Orchesters La Scintilla Mozarts Musik durch den Abend peitschte. Ticciati gehört zu dieser neuen Generation Dirigenten, die Sängern jedes Stargehabe, aber auch jede Individualität auszutreiben sucht. Hier gilt es der gemeinsamen Schauspielkomödie, nicht dem eigenständigen Ausgestalten, der Dramatik, nicht der Kantilene, dem Furor, nicht dem agogischen Fliessen. Symptomatisch für dieses Verschauspielern der Musik waren die Rezitative, die sich in chromatischen, schräg die Orchestermusik konterkarierenden Läufen gefallen.
Baumgarten situiert seinen «Don Giovanni» in einem religiösen Ritualraum. Das «Continuo» ist in Form einer Cello spielenden Nonne (Christine Theus) und eines an Orgel und Fortepiano agierenden Priesters (Enrico Cacciari) szenisch omnipräsent, derweil Giovanni die zu eliminierende zerstörerische Gegenwelt darstellt. Es ist Abschreckungstheater einer strenggläubigen Religionsgemeinschaft, der Masetto (Erik Anstine) und Zerlina (Anna Goryachova) verfallen sind.
Giovanni im Blutrausch
Drastisch ist der «Anschauungsunterricht», etwa wenn Don Giovanni im Blutrausch eine gefesselte Frau absticht. Überzeichnung ist Trumpf. Leporello als hinkender, in schwarzem Lakeiengewand gestikulierender Halbtrottel, von Ruben Drole mit Verve gesungen und gespielt. Nicht minder doof Masetto, der sich ins Bein schiesst, um Zerlina zurückzugewinnen. Überraschend profiliert war da der von Pavol Breslik wunderbar gesungene Don Ottavio, der an der Bigotterie Donna Annas schwer zu leiden hat.
Marina Rebeka als Anna blieb sängerisch hinter Julia Kleiter als Donna Elvira zurück, die ihre «Mi tradì»-Arie fabelhaft gestaltete. Einen schweren Stand hatte auch der Komtur (Rafal Siwek), weil ihn die Regie im Regen stehen liess: Zu Beginn hinterrücks abgestochen, am Ende im Skeletthemd harmlos, genau wie die konventionelle Schlemmerszene insgesamt.