Christian Berzins, Neue Luzerner Zeitung (29.05.2013)
Mozarts «Don Gio- vanni» am Opernhaus Zürich endete in einer wilden Buh-Bravo-Schlacht. Dies lag an der ärgerlichen Regie.
Die Wagnerianer warten schon lange: «Das wird ein Skandal!» Sie hatten gesehen, wie Regisseur Sebastian Baumgarten in Bayreuth den «Tannhäuser» in einer Biogasfabrik spielen liess. Die Verdi-Freunde sahen, was da drohte, und selbst den aufgeklärten Mozartmenschen wurde bange, sollte Baumgarten doch in Zürich die «Oper der Opern», den «Don Giovanni», inszenieren.
Er verkörpert perfekt, was der gemeine europäische Abo-Besitzer abschätzig «deutsches Regietheater» und der Amerikaner «Euro-Trash» nennt. Worte, die Theatermenschen hassen. In Berlins «Komischer Oper», wo Zürichs neuer Opernintendant Andreas Homoki viele Jahre arbeitete, waren solche Künstler zu Hause. Und die Auslastung naturgemäss im Keller.
Viele befürchteten Berliner Verhältnisse in Zürich, als Homoki zum Pereira-Nachfolger gewählt wurde. Doch anstatt zu Abo-Kündigungen kam es zu einer Abo-Zunahme, und im März gab das Opernhaus Signale, dass die Jahresrechnung positiv ausfallen würde. Kein Wunder: Homoki hat alles klug geplant, die Neuinszenierungen folgten einer klaren Linie, die Wiederaufnahmen wurden sorgfältig neu erarbeitet. Der vermeintliche Opernschreck zeigte sich als moderner Opernästhet, die Zürcher Opernrevolution fiel sanft aus. Ärgerlich, dass nun «Don Giovanni» durchfällt.
Platte Gedanken
«Fürchtet Gott, denn die Stunde des Gerichts ist gekommen», heisst es auf einem flimmernden Video vor der Ouvertüre. «Fürchtet Baumgarten», wäre passender. Kaum wird gespielt, schickt er die nächste Botschaft. Jeder müsse zweimal geboren werden, um ein wahrer Mensch zu werden. Typisch Regietheater: Nichts erklärt sich offenbar von selbst. Dabei ahnt jeder, was gemeint ist: Nicht nur der Titelheld, der 2065 Frauen verführt hat und als Libertin die individuelle Freiheit preist, versündigt sich, sondern auch alle anderen Charaktere gehören erst mal in der Hölle gebraten. Und so zeigt Baumgarten überdeutlich, wer wann welche Todsünde begeht: Eine Sektengruppe verdeutlicht anhand von «Don Giovanni», wie der Mensch den Todsünden verfällt. Doch dieses quasi epische Theaterspiel im Spiel mit vielen Nebenschauplätzchen raubt den Figuren Kraft und Charme, hinterlässt sie als blutleere Akteure.
Musik und Szene im Widerspruch
Peter Mattei kann einem als Titelheld leidtun. Er schafft aber das ihm auferlegte Kunststück, das Laiensektenspiel schlecht zu spielen und grossartig zu singen, obwohl sich Musik und Szene bisweilen konträr verhalten. Das «Ständchen» gibt er im Regen, beim Fest im ersten Finale schlachtet er eine Frau, das Blut spritzt meterhoch, Marquis de Sade steht Don Giovanni Pate.
Der Titelheld beginnt als King Kong, wandelt sich dann vom Jesus via Schockrocker Marilyn Manson zum Teufel. Alles ohne Wirkung. Don Giovannis zerstörerische Kraft haben Regisseure wie Martin Kusej besser dargestellt. Eros und Schönheit interessieren Baumgarten nicht, seine Materie ist das Plumpe.
Prächtiger Sopran
Zu Donna Anna ist ihm zum Glück nichts eingefallen, und so kann sich die Lettin Marina Rebeka stimmlich bestens entfalten: mit prächtig grossem Sopran, der zu dramatischen rubinroten Tönen fähig ist. Julia Kleiter gibt die Elvira unauffällig, Pavol Breslik wie Ruben Drole stossen mit Don Ottavio wie mit Leporello stimmlich an ihre Grenzen, sind dafür als Schauspieler gefordert.
Erstaunlich, welch musikalisches Feuer der junge Senkrechtstarter Robin Ticciati entfacht. Da er die Barockformation La Scintilla so aufgefächert klar dirigiert, hört man Erstaunliches, doch trotz der Detailjagd und überaus klaren Tempi vermisst man bisweilen den Sog. Dass Ticciati zum Schluss Buhs kriegt, liegt indes daran, dass er verantwortlich ist für die ironisch völlig verzerrt gespielten Rezitativbegleitungen, die vermeintlich zur Regie passen sollen.
Unbedingt alles anders machen
Aber gerade diese Inszenierung lenkt in einem hässlichen und übervollen Bühnenbild viel mehr von der Musik ab, als dass sie aus ihr gedacht wäre. Hier muss eine Oper für eine bühnenferne Kopfidee herhalten. Baumgartens Hang, alles anders als bis anhin machen zu wollen, nervt. Wer den Inhalt nicht gut kennt, weiss mit der Interpretation wenig anzufangen. Und somit ist «Don Giovanni» weit entfernt von Homokis Leitspruch «Oper für alle».
Die Verärgerung rundum war gross, Opposition zu den Buhs gabs allerdings durchaus. Glück für Homoki, sind die Abo-Verlängerungen gemacht. Diese Art Regie wird in Zürich in kurzer Zeit zu leeren Kassen führen.