Die Sorgen des Adels

Peter König, Der Bund (15.04.2013)

La Cecchina ossia La buona figluola, 12.04.2013, Biel/Solothurn

Dem Theater Biel-Solothurn ist mit der Opern-Preziose «La Cecchina» ein toller Saisonabschluss gelungen.

Je nach Quelle hat Niccolò Piccinni über 80 oder auch über 100 Opern geschrieben. Die meisten sind heute vergessen, und der Einfluss seines Pariser Gegenspielers Gluck auf die Entwicklung des Musiktheaters war grösser. Dennoch ist die Stellung von Piccinnis Oper «La Cecchina», 1760 in Rom uraufgeführt, nicht zu unterschätzen.

Der Komponist «erfand» hier nichts weniger als das Dramma Giocoso oder die Opera Semiseria, also die Abkehr von der reinen Buffooper zu einer Gattung mit Tiefgang, die wenig später in Mozarts «Don Giovanni» einen Höhepunkt finden sollte. Später pflegte Rossini diesen Stil weiter, etwa in der «Cenerentola».Und mit diesem Werk lässt sich auch gleich die «Cecchina» erzählen, denn es gibt Parallelen: Armes Hascherl, hier die Gärtnerin Cecchina, liebt reichen Prinzen, hier ihr eigener Chef und dummerweise gehobenen Standes, was eine Liaison unmöglich macht. Intrigiert wird von den Mägden Sandrina und Paoluccia, von deren Bosheit selbst Cenerentolas Stiefschwestern noch einiges lernen könnten. Gegen die standeswidrige Liaison ihres Bruders ist aber auch Lucinda aus Angst um die eigene Beziehung mit dem Kavalier Armidoro. Wie in der «Cenerentola» kommt ein Deus ex Machina ins Spiel - der Soldat Tagliaferro deckt auf, dass Cecchina in Wahrheit eine seit 20 Jahren vermisste deutsche Baroness ist. Sie ist also adlig und dem lieto fine steht nichts mehr im Weg.

Stimmige Inszenierung

Aus heutiger Sicht geht es nicht mehr auf, dass ohne die Fügung, selber adlig zu sein, Cecchina nie zu ihrem Liebsten gefunden hätte. Bloss, dreissig Jahre vor der französischen Revolution war etwas anderes undenkbar, und wenn man diesen einen Aspekt ausblendet, bleibt nur Entzücken darüber, wie stimmig Regisseur Alexander von Pfeil und Ausstatter Piero Vinciguerra diese Opernpreziose umgesetzt haben. Das Einheitsbühnenbild zeigt eine elegante Wand mit Eingangs- und Schranktüren.

Die Handlungszeit wird Mitte des 20. Jahrhundert sein. Sehr differenziert sind die Charaktere gezeichnet, und oh Wunder: lauter Typen, die wir auch kennen. Der Marchese ist ein Pantoffelheld, seiner Schwester könnte Imelda Marcos Vorbild gewesen sein. Ihr Lover Armidoro ist die Karikatur des gelangweilten Landjunkers à la Don Ottavio. Die beiden Mägde unterscheiden sich sehr wohl in Art und Weise ihrer Garstigkeit. Etwas überzeichnet ist der Soldat Tagliaferro, und verzweifeln möchte man ob der durch und durch demütig-defensiven Wesensart der Titelheldin.

Das junge Ensemble findet zu einer darstellerisch geschlossenen Gesamtleistung, wie sie selten ist. Weniger einheitlich ist das Gesangsniveau. Ohne Fehl und Tadel Raquel Camarinha als Cecchina und Bojidar Vassilev als Diener Mengotto. Stimmgewaltig, aber noch zu wenig nuanciert Dzianis Yantsevich (Tagliaferro). Daniela Braun als Sandrina und Oriane Pons - beides begnadete Actricen - neigen zum Forte, was durch den künstlich verengten Bühnenraum verstärkt wird. Gregory Finch gibt den blutleeren Armidoro mit der nötigen Blasiertheit, und William Lombardi (Marchese) gerät nur in den höheren Lagen manchmal etwas ausser Tritt. Die stimmlich beste Leistung liefert die zu Recht umjubelte Rosa Elvira Sierra (Marchesa) ab, ein wohlklingender Koloraturkontrast zu der Unperson, die sie zu verkörpern hat.

Zeitgemässer Klang

Das Sinfonieorchester Biel, «künstlich gealtert» mit einigen geeigneten Instrumenten und den Nachbauten barocker Geigenbögen, findet unter Harald Siegels sicherem Dirigat die Balance zwischen zeitgemässem Klang und handlungstreibender Spannung. Am Schluss geht alles auf, die Marchesa und Armidoro wie Cecchina und der Marchese haben sich.

Auch Mengotto und Sandrina werden ein Paar, und fast scheint es, als hätten beim Schlussapplaus auch Paoluccia und Tagliaferro noch Gefallen aneinander gefunden. Ende gut, alles gut also? Wenn man es recht bedenkt: Wir möchten wohl mit keiner dieser Personen wirklich liiert sein.