Rückkehr einer Königin

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (25.06.2013)

La Straniera, 23.06.2013, Zürich

Bellinis «La Straniera» in Zürich

Es ist der Abend von Edita Gruberova, die jetzt nach einem Jahrzehnt des Fernbleibens an das Opernhaus Zürich zurückgekehrt ist. Darüber hinaus bietet «La Straniera» die Begegnung mit einem vergessenen Werk Bellinis.Es war eine Rückkehr in Etappen: Nach zehnjährigem Fernbleiben wegen eines Konfliktes mit Alexander Pereira ist Edita Gruberova im Mai letzten Jahres als Einspringerin mit einem denkwürdigen Liederabend an ihr einstiges Stammhaus zurückgekehrt, zu Beginn dieser Spielzeit war sie in der Wiederaufnahme von Donizettis «Roberto Devereux» zu erleben, doch jetzt ist sie richtig heimgekehrt: in einer vom neuen Intendanten Andreas Homoki und von seinem Team langfristig und umsichtig vorbereiteten Neuproduktion, in einer auf sie zugeschnittenen Inszenierung und in einer neuen, ihrem jetzigen künstlerischen Potenzial ganz und gar entsprechenden Partie. «La Straniera», der Titel von Vincenzo Bellinis Melodramma, verrät es schon: Es geht um eine Frau, deren Wesensmerkmal ihre Fremdheit, ihre unfassbare, geheimnisvolle Identität ist. Nicht primär Schöngesang verlangt diese Rolle, sondern die Aura einer grossen Persönlichkeit, das Faszinosum einer einzigartigen Stimme, die Kunst einer Virtuosin. Und darüber gebietet Edita Gruberova nach über vierzigjähriger Bühnenlaufbahn noch immer, während die Klangqualität jetzt Schwankungen unterliegt und die Intonation am Premierenabend über weite Strecken zu tief war.

Faszination des Fremden

Nicht bloss die Titelfigur dieser in Vergessenheit geratenen Bellini-Oper, die Handlung selbst ist sonderbar, voller unerwarteter Peripetien und kolportagehafter Geschehnisse, wie sie die Romantik liebte: Graf Arturo verlässt am Vortag der Hochzeit seine Braut, weil er sich unwiderstehlich zu einer unbekannten Fremden hingezogen fühlt. Als er diese in der Umarmung mit einem Anderen überrascht, glaubt er, es sei ein Rivale, und verwundet ihn im Duell tödlich. Doch es ist der Bruder der Straniera, die nun ihrerseits wegen verdächtiger Blutspuren des Mordes angeklagt wird. In letzter Minute erscheint Arturo vor Gericht und bekennt sich der Tat schuldig, auch der Totgeglaubte kehrt zurück. Zusammen mit der Straniera bewegt er Arturo dazu, zu seiner Braut zurückzukehren. Aus der Kirche geflohen, erlebt dieser mit, wie die Fremde als Königin von Frankreich aus der Verbannung zurückgerufen wird, und gibt sich den Tod. Das ist der Stoff, aus dem die Undine- und Melusine-Märchen gemacht sind, fassbar nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl, durch psychologische Innenschau. Und darauf versteht sich Christof Loy, der nun zum ersten Mal am Zürcher Opernhaus wirkt, wie wenige seiner Profession, das haben insbesondere seine grossartigen Münchner Inszenierungen mit Edita Gruberova, «Roberto Devereux» und «Lucrezia Borgia», bewiesen.

Er hat sich für das Drama um unerfüllbare Liebe, trügerische Hoffnung, Weltflucht und Todessehnsucht von Annette Kurz einen holzverkleideten Saal erbauen lassen, der stets als Bühne lesbar bleibt, mit einer idyllischen Uferlandschaft im Hintergrund und duftigen Waldprospekten, die bei Bedarf entrollt werden. Von diesem schön anzusehenden, auch akustisch optimal konzipierten Raum, in dem sich die Akteure in zeitlos eleganten Kostümen (Ursula Renzenbrink) bewegen, geht eine eigene Faszination aus, er versetzt das Geschehen gleichsam in einen Schwebezustand zwischen Realität und Imagination, und Loys subtile, oft der Choreografie angenäherte Personenführung, die auch den bestens disponierten Chor differenziert einsetzt, tut ein Übriges, um äusseres Geschehen als Ausdruck inneren Erlebens nachvollziehbar zu machen.

Die Eine und die Anderen

Im Mittelpunkt steht natürlich Edita Gruberovas Straniera, königlich in ihrer Haltung, unnahbar und verletzlich, Liebe, Schmerz und Trauer sublimierend in einem weithin deklamatorischen Gesang, der aus der Fülle der klanglichen Schattierungen lebt und dessen Ausdrucksspektrum von schwerelos gehauchten bis zu expressiv dramatischen Tönen reicht. Immer wieder kulminiert er in jenen reich variierten, stupenden Koloraturen, die das Markenzeichen der Belcanto-Königin sind. Für diese Ausnahmeerscheinung der Opernbühne ein adäquates sängerisches Umfeld zu schaffen, war schon immer eine schier unlösbare Aufgabe. Eine Idealbesetzung ist auch jetzt nicht zustande gekommen, wohl aber eine hochstehende Ensembleleistung. Dario Schmunck, der sich als Arturo auf der CD-Einspielung von Opera Rara profiliert hat und in der Zürcher Produktion den ursprünglich verpflichteten Gregory Kunde ersetzt, zeigt sich der Tenorpartie mit leicht ansprechender Höhe, tragender Mittellage und kultivierter Phrasierung sängerisch souverän gewachsen, vermag aber das bis zum Wahn sich steigernde Verfallensein an die Fremde darstellerisch kaum zu vermitteln.

Die übrigen, stärker in der Realität verankerten Figuren sind weniger vielschichtig gezeichnet, erhalten aber markantes Profil. Franco Vassallo verkörpert als Valdeburgo im Kontrast sowohl zu seiner Schwester wie zu Arturo den Willensmenschen – sein kraftvoller, agiler Bariton hat für dieses Rollenbild das passende, kernige Timbre. Veronica Simeoni als Isoletta, die zwischen Hoffnung und Resignation schwankende Braut Arturos, lässt ihren hellen, ebenmässig durchgebildeten Mezzosopran frei strömen, ohne die emotionalen Grenzbereiche der Partie ganz auszuloten. Ein vokales Glanzlicht ist einmal mehr der junge Tenor Benjamin Bernheim, der den Intriganten Osburgo mit dezenter Präsenz spielt. Den kleinen Rollen des Priors und des Brautvaters geben Reinhard Mayr und Pavel Daniluk mit ihren sonoren Bassstimmen das erforderliche dramaturgische Gewicht.

Das Orchester ist in diesem Werk vor allem in begleitender Funktion gefordert, erhält aber auch Gelegenheit, den Sängern solistisch zu präludieren oder mit ihnen kunstvoll zu dialogisieren. Beides geschieht in dieser Einstudierung auf hohem Niveau. Fabio Luisi widmet sich Bellinis «Straniera» mit ganzer Hingabe und lenkt das Ensemble mit straffer Hand, stets auf Transparenz und Balance zwischen Orchester- und Solistenstimmen bedacht. Und die Philharmonia Zürich macht ihrem Namen alle Ehre an diesem Premierenabend, der in sich einen Idealfall szenisch-musikalischer Harmonie darstellt.