Fulminantes Rollendebüt

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (27.06.2013)

La Straniera, 23.06.2013, Zürich

Edita Gruberova triumphierte bei ihrem szenischen Rollendebüt in Vincenzo Bellinis „La straniera“. Wenn Richard Wagner im Mittelpunkt der heurigen Zürcher Festspiele steht, ist die szenische Premiere von Vincenzo Bellinis „La straniera“ im Opernhaus eine passende Ergänzung – war Wagner doch ein „Fan“ des italienischen Romantikers.

Die Geschichte mag für den heutigen Zuschauer reichlich an den Haaren herbeigezogen sein: Graf Arturo soll Isoletta, die Tochter eines verarmten Adeligen heiraten, liebt aber die in den Wäldern zurückgezogen lebende Alaide, über die man sich als „La Straniera“ allerlei Geheimnisvolles erzählt. Am Ende entpuppt sie sich als ins Exil verbannte, nun aber wieder rechtmäßige Königin Frankreichs, die die Heirat von Arturo und Isoletta wünscht. Arturo flieht jedoch vom Hochzeitsfest zu Alaide und ersticht sich vor ihren Augen. Zurückbleiben die junge Witwe Isoletta und die ebenso gebrochene Königin, die nicht in ihr altes Leben am Hof zurückfindet.

Edita Gruberova hat die Alaide bereits konzertant in München und Wien gesungen. Ihr szenisches Debüt am Sonntag war quasi ihr Geschenk zum 45-Jahr-Bühnenjubiläum. Und sie reüssierte wieder einmal, wenn auch die lange Karriere rotz aller Vorsicht und neuer Technik nicht spurlos an ihrer Stimme vorbeigegangen ist. Aber beim Gestalten einer Partie geht es ihr schon lange nicht mehr nur um Schöngesang, sondern um das möglichst vollkommene Erfassen des Charakters einer Rolle. Es ist unglaublich, wie die Gruberova heute mit ihren Stimmfarben spielen, welche endlose Legatobögen sie formen kann und wie sie Zwischentöne zu erfassen weiß. Und: Welche andere Sängerin oder welcher andere Sänger wagt sich im fortgeschrittenen Spätherbst der Karriere noch an Rollendebüts im angestammten (!) Fach?

Das Opernhaus Zürich hat die Gruberova in ein ebenso feines Ensemble eingebettet. Dario Schmunck gibt den unglücklichen Arturo mit flexiblem und geschmeidigem Tenor, Veronica Simeoni punktet in der undankbaren Rolle der Isoletta im zweiten Akt mit schön ausgeformten Koloraturpassagen. Franco Vassallo stattet Arturos Freund Valdeburgo mit sonorer Resonanz aus. Nachdem Arturo ihn als Rivalen bei Alaide entlarvt zu haben meint, tötet er ihn vermeintlicherweise. Alaide erklärt, dass er ihren Bruder getötet habe, der dann aber später doch wieder auftaucht. Benjamin Bernheim in der Dienerrolle Osburgo ist eine Luxusbesetzung.

Fabio Luisi entwickelt am Pult der Philharmonia Zürich viel Gespür für die fließende und dichte Musik Bellinis, weiß romantisches Sentiment mit dem Orchester zu entwickeln und immer wieder dramatisch zuzuspitzen. Stellvertretend für das meist hervorragend intonierende Orchester sei die Solo-Flöte zu Beginn der siebten Szene im zweiten Akt erwähnt.

Für Christof Loy stand die „Straniera“ schon lange auf dem Wunschzettel, aber nur mit Edita Gruberova. Bei ihr hat es ein bisschen länger gedauert, bis sie sich zur Aufnahme der Partie in ihr Repertoire bereit erklärte. Christof Loy erzählt die Geschichte als Rückblende. Zum kurzen Orchestervorspiel betrauern Alaide und Isoletta den toten, auf dem Boden liegenden Arturo. Anschließend lässt Loy die nicht ganz glaubwürdigen Geschehnisse in einem Theater auf dem Land wohl zur Entstehungszeit spielen, wo Prospekte von der bretonischen Küste und vom Wald die Orte der Handlung andeuten (Bühnenbild: Annette Kurz, Kostüme: Ursula Renzenbrink). Spätestens, als Arturo Valdeburgo glaubt zu töten, kippt das Ganze aber ins Reale. Eine Gerichtsverhandlung, in der Alaide des Mordes an Valdeburgo angeklagt wird, bis Arturo auftaucht und sich schuldig bekennt, ist die bittere Wirklichkeit. Christof Loy macht in seinem Setting nicht nur das Beziehungsgeflecht zwischen den Personen deutlich, sondern blickt tief in das Innenleben der Charaktere – vor allem in jenes von Alaide, die am Ende selbstverständlich ihre große Schlussszene hat. In Wien darf man sich auf die mit dem Theater an der Wien koproduzierte Inszenierung freuen.