Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (25.06.2013)
Es war ein geschickter Zug des neuen Zürcher Opernhaus-Intendanten Andreas Homoki, Edita Gruberova zurückzuholen. Nach Donizettis «Roberto Devereux» im Herbst prägt sie nun die Neuinszenierung von Bellinis Oper «La Straniera».
Im Dezember wird sie 67, die ehemalige Belcanto-Königin der Opernbühnen zwischen Zürich, München, Wien und der Welt. Damit ist Edita Gruberova in einem Alter, in dem andere Sängerinnen längst den wohlverdienten Ruhestand pflegen. Sie aber plant sogar noch Rollendebüts: Die «Straniera» sang sie konzertant letzten Sommer in München, vergangenen Sonntag folgte die szenische Premiere.
Noch immer gut für die grosse Partie
Natürlich hat man sie noch im Ohr, diese Stimme in ihren Glanzzeiten. Und natürlich singt Gruberova heute, verglichen damit, weniger berauschend. Die Intonation ist oft ungenau, manchmal abenteuerlich, die Farben in der Mittellage fehlen, der Atem und die Kraft für weit gespannte Linien gehen früher aus als gewünscht.
Aber noch immer kann diese Stimme gestalten, überzeugen und verzaubern. In sich hat sie sich vieles bewahrt von ihrer jugendlichen Leichtigkeit. Da ist zum Beispiel nicht der Hauch eines wabernden Vibratos, was ältere Sängerinnen sonst kaum vermeiden können. Noch immer beherrscht Gruberova ihr Markenzeichen, das Decrescendo in höchsten Lagen bis ins Pianissimo. Sie weiss natürlich, wie man Bellinis Linien ausgestalten kann, und sie legt die ganze Erfahrung aus einer grossen Opernkarriere und die Fähigkeiten einer klugen Sängerin in die Waagschale, um eine grosse Bellini-Partie auf die Bühne zu bringen.
Das Haus im Sturm zurückerobert
Das gelingt ihr ganz besonders in den emotional extrem aufgeladenen Szenen dieser unglaublich wirren Operngeschichte. Bellini, das ist jedenfalls der Eindruck nach der Premiere dieser selten zu hörenden Oper, hat genau diese emotionalen Grenzerfahrungen gesucht, um seine grossen Fähigkeiten als Melodiker nach Kräften auszukosten. Und diese Figur der «Straniera», schillernd zwischen Königin und Hexe, zwischen Herrscherthron und Richtbeil, gefangen in einer Liebe, die sie nicht leben darf, vereint alles, was menschliche Emotionen so hergeben. So steigert sich der Opernabend in zwei bewegende Aktschlüsse, in denen Edita Gruberova all ihre Register zieht und im Sturm ein Opernhaus zurückerobert, das einst ganz ihr gehörte.
Wenig Grösse in der Umgebung
Ihre strahlende Grösse ist auch ein bisschen der Kleinheit ihrer Umgebung geschuldet. Nur der Bariton Franco Vassallo kann ihr sängerisch das Wasser reichen. Zwar ist sein abgedunkeltes Timbre ein wenig Geschmackssache, aber ansonsten singt er den Valdeburgo brillant, mühelos, mit Strahlkraft und vor allem auf wunderschön strömender Bellini-Linie. Der Tenor Dario Schmunck hingegen bleibt auf der Strecke, sobald er mehr als ein schön gepflegtes Mezzoforte singen soll. Und Veronica Simeoni als Isoletta singt tadellos solid, in keinem Moment aber herausragend.
Mehr Format entwickelte Fabio Luisi am Pult des Zürcher Opernorchesters – indem er sich kaum profilierte. Wie schon in seinem «Rigoletto» in Zürich hatte er vor allem die Koordination souverän im Griff und hielt die Zügel sowohl in der Dynamik wie in den Tempi straff in der Hand. Kein romantisches Wabern, kein Rubato-Festival, sondern eine immer wache und präzise, den manchmal interessanten Orchesterfarben zwar offen, aber nicht demonstrativ begegnende Klangdramaturgie.
Die Regie lässt vieles im Unklaren
Mit Christof Loy war einer der intelligenteren Opernregisseure erstmals in Zürich an der Arbeit. Allerdings blieb auch ihm diese «Straniera» fremd. Irgendwie befinden wir uns auf einem heruntergewirtschafteten Theater. Kaputte Kulissen, Prospekte, Seilzüge deuten darauf hin. Wer hier was und warum spielt, bleibt allerdings den ganzen Abend lang total im Dunkeln. Auch eine Personenführung, die diesen Namen verdiente, lässt Loy vermissen: Wer etwas auf der Bühne zu tun hat, steht meistens herum oder sinkt theatralisch zu Boden. Und wenn Königin Edita endlich in Krone und Brautkleid auftritt, ist auch das bloss ein Irrtum. Oder haben wir da etwas falsch verstanden?