Bruno Rauch, Bündner Tagblatt (25.06.2013)
Im Rahmen der Zürcher Festspiele beschliesst das Opernhaus die Spielzeit mit Bellinis «La straniera». Die Premiere von Sonntagabend wurde zur bejubelten Rückkehr Edita Gruberovas ans Haus.
Ein spannungsvoller Auftritt, den Vincenzo Bellini der Primadonna in seiner vierten Oper bereitet: Bevor die Diva überhaupt auftritt, erklingt ihre Stimme hinter der Bühne – «Ah», eine schmachtende Vokalise. Auch sonst bietet der Komponist alles, was sich der Belcanto-Liebhaber wünscht. Und entsprechend bringen Maestro Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich die Partitur zum Klingen: melodischer Fluss, weite Bögen, delikate Farbpalette.
Edita Gruberova kostet die melancholische Grundierung des Werks mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln aus. Und die sind, selbst nach einer 45-jährigen Bühnenlaufbahn, erstaunlich – selbst wenn die bisweilen manierierte Tongebung, die Glissandi und Schluchzer nicht jedermanns Sache sind. Souverän sind immer noch die im Nichts verklingenden Piani und die Höhe, obschon die Stimme spröder, schärfer, die Mittellage fahl und die Intonation mitunter etwas instabil geworden ist.
Verschleierte Gefühle
Auch die Trabanten um die Diva schlagen sich trefflich – doch warum hat man sie so unvorteilhaft hergerichtet? Dario Schmuncks (Arturo) bisweilen etwas forcierte Tenorstimme findet ihren Gegenpart im kernigen Bariton von Franco Vassallo (Valdeburgo). Und besonders berührend ist Veronica Simeonis (Isoletta) intensiver, warm leuchtender Mezzosopran.
Inkarniertes Leiden, Musik gewordener Schmerz: Nicht nur stimmlich, auch optisch wirkt die Gruberova wie eine fragile, bleiche Porzellanpuppe, die man am besten aufs Sofa setzt und nicht berührt, um sie nicht zu havarieren; ein Eindruck, den die erzromantische Handlung unterstreicht. Dass es nicht gut ausgeht, macht bereits die inhaltliche Vorwegnahme im Vorspiel klar: Ein Mann sinkt zu Boden, der Schleier der ihm bestimmten Braut wird als Grabtuch über den Toten gebreitet...
Schleier, weiss und schwarz, werden zur Chiffre für das undurchsichtige Geschehen: Immer wieder ver- und enthüllen sich die beiden Frauen, zwischen denen der unglückliche Arturo steht. Zwiespalt, Vagheit, Rätselhaftigkeit suggerieren auch die Gazevorhänge, welche die mit Holz verkleidete Bühne willkürlich unterteilen.
Verworrene Story
Wiedergeben lässt sich die verworrene Story kaum: Arturo entzieht sich seiner Braut, da er sich zu einer verschleierten Unbekannten hingezogen fühlt. Den zur Vernunft mahnenden Freund ersticht er im Duell, weil er in ihm einen Konkurrenten vermutet. Doch es stellt sich heraus, dass der vermeintliche Rivale der Bruder der Fremden war und – Oh! gioa! – mit dem Leben davongekommen ist. Das gereicht dennoch nicht zum Happyend, da es sich erweist, dass Alaide die Gattin des Königs ist, die nach langem Exil an den Hof zurückkehren darf – was bleibt Arturo, als sich selbst zu entleiben? Und einmal mehr tritt der Schleier in Aktion...
Der statische Chor, aufgemotzt durch überflüssige Statisterie, bleibt Staffage. Ausser optischer Opulenz tun Christof Loy, Regisseur von Gruberovas Gnaden, und sein Ausstattungsteam wenig, um die Unwahrscheinlichkeit auch nur einigermassen plausibel zu machen. Pathos, Gestik, Schreiten, Knien, Seufzen, mit und ohne Schleier – ironisch kann das nicht gemeint sein. Vielmehr: Oper mit Patina!