In der Fremde des Lebens

Herbert Büttiker, Der Landbote (25.06.2013)

La Straniera, 23.06.2013, Zürich

Edita Gruberova in Zürich – die Rückkehr der Primadonna ans Opernhaus als La Straniera (Die Fremde) in Vincenzo Bellinis Oper ist mit Spannung erwartet und von vielen mit viel Applaus gefeiert worden. Skeptiker fürchteten den Abend leider zu Recht.

Flackerte ihr Stern nach 45-jähriger Laufbahn am Opernhimmel nicht sinkend am Horizont, man könnte über die Wiederkehr des «Star-Theaters» im Opernhaus Zürich schreiben. Dazu gehörte die Werkwahl: Mit Vincenzo Bellinis «Sonnambula» endete 2002 Edita Gruberovas gefeierte Belcanto-Epoche in Zürich im Zerwürfnis mit den Intendanten; mit der Premiere einer auch für sie neuen und von ihr gewählten Bellini-Partie ist sie wieder da. Dazu gehörte die Unterordnung des Übrigen: Für die weiteren Partien der Oper sind keine grossen Namen gefragt, und es gilt für sie, sich neben dem Star zu behaupten. Dazu gehörte ferner eine Inszenierung, die sich nicht in den Vordergrund stellt, und dafür haben sich Annette Kurz mit einem rustikal aristokratischen und leicht fantastischen Raumkonzept, Ursula Renzenbrink mit ländlich-provinziellem Kostüm der Entstehungszeit der Oper etwas apart Ästhetisches einfallen lassen. Christoph Loy hat schnörkellos inszeniert, und der Gang zur Rampe ergibt sich für die Protagonistin jeweils wie von selber.

Mehr als sein roter Teppich

Und noch etwas: Es durfte etwas kosten. Das Opernhaus leistete sich für das Bühnenbild einen aufwendig hergestellten Boden, ein Parkett, für das, so berichtet das Opernhausmagazin, 2500 Sperrholzblättchen auf völlig verschiedene Formen genau nach Vorlage zugeschnitten wurden. Fünf Wochen Arbeit wurden dafür investiert. Zu sehen ist das Ergebnis, das ein einst wunderschönes, dann herausgerissenes und wild zusammengewürfelt wieder eingesetztes Parkett darstellen soll, aber nur von den Rängen.

Nun, ein bisschen verrückt darf Oper sein, und ein originelles Parkett von symbolträchtiger Bedeutung ist immerhin mehr als ein banaler roter Teppich: Es geht an diesem Abend, und das ist auch zu betonen, tatsächlich um das Werk und um Vincenzo Bellini, der mit «La Straniera» ein romantisches Schlüsselwerk schrieb, das nach «Il Pirata» seinen Ruhm festigte, sich aber gegen «I Capuleti e i Montecchi», «La Sonnambula», «Norma» und «I Puritani» in den Spielplänen nicht halten konnte. Die Uraufführung an der Mailänder Scala am 14. Februar 1829 war für den Komponisten, der schon 1835 im Alter von 34 Jahren sterben sollte, ein unglaublicher Triumph.

In der Fremde des Lebens

Um «La Straniera» geht es auch Edita Gruberova. Am Werk ist eine uneitle Spezialistin, die das Gebiet des romantischen «Belcanto» durchmessen hat und weiss, dass «Schöngesang» kein adäquater Ausdruck für das ist, worum es in den Opern Bellinis und Donizettis geht: gefährdete Seelen, Menschen in der Fremde, im Wahnsinn auch zerbrechend – allerdings unter Meisterung höchstgradiger gesanglicher Schwierigkeiten, die sich in reinen Ausdruck, in Gesang eben, verwandeln müssen. Dafür tut Edita Gruberova auch an diesem Premierenabend alles. Allein, man kommt um die Feststellung nicht herum, dass die Mittel dafür nicht mehr da sind. Dabei sind es nicht nur die Kulminationspunkte der Partie, wo dies schmerzlich zu konstatieren ist, gerade da ist immerhin auch Ausdruck oder eben Wahnsinn genug mit im Spiel. Doch der Eindruck einer unausgeglichenen, der Feinkontrolle entgleitenden angestrengten Stimmführung überwiegt insgesamt und auch in lyrisch schlichten Momenten immer wieder. Wer die Sängerin verehrt hat, mag sie weiterhin lieben und ihre Selbstbehauptung heroisch finden, sich über hysterisches Opernwesen zu wundern, ist jedoch ebenso berechtigt.

Bellinis fein instrumentiertes Orchester kaschiert da kaum und macht im Gegenteil, wenn es nach rein vokalen Kadenzen wieder einsetzt, Intonationsprobleme ungnädig deutlich. Solche trüben insbesondere auch den Glanz von Franco Vasellas sonst ausnehmend wohlklingendem Bariton, für den Bellini eine seiner nobelsten Arien geschrieben hat. Dass dem getriebenen Arturo kein Arienhalt zusteht, zeigt, wie kompromisslos Bellini und Romani zu Werk gegangen sind. Mit schlankem und geschmeidigem, rhetorisch griffigem Tenor ist Dario Schmunck dennoch leidenschaftlich präsent. Um die Sympathie des Publikums zu wecken, ist die Partie des manischen Liebhabers allerdings eher ungeeignet. Das gelingt Veronica Simeoni als unglücklich Verlobte mit vollem, etwas wuchtigem Mezzosopran. Stimmlich gute Figur macht Benjamin Bernheim als intriganter Osburgo.

Gute Figur machen unter der Leitung von Fabio Luisi auch der Chor und das Orchester, für das Bellini ebenfalls lange, lange Melodien geschrieben hat, aber auch tupfende Begleitfiguren, die inspiriert gestaltet werden. Man lernt ein auch instrumental vielschichtiges Werk kennen, indem feingliedrige Melodik und kraftvolle Dramatik sich verbinden.



Ein «fantastischer» Stoff

Das Sujet, das auf einem zeitgenössischen Erfolgsroman basiert, erscheint vielleicht bizarr, der Librettist Felice Romani selber apostrophierte den Stoff, der im Kern auf einer historischen Begebenheit beruht, als «fantastisch»: Weil er gezwungen wird, seine rechtmässige erste Frau wieder bei sich aufzunehmen, verstösst der König die geliebte zweite. Diese zieht sich unter dem Namen Alaide in die ländliche Einsamkeit der Bretagne zurück und wird für die Einwohner zur hexenhaften Erscheinung. Graf Arturo verliebt sich in die geheimnisvolle Frau, lässt für sie die Hochzeit mit Isoletta platzen, tötet beinahe seinen Freund als vermeintlichen Rivalen und ersticht sich, als bekannt wird, dass der König Alaide zurückbeordert, nachdem seine Pflichtgemahlin gestorben ist.

Emotionale Hochspannung und Duellszenen für den Tenor, der Jammer über eine ausweglose Lebenssi­tua­tion für die Titelheldin, als Bariton ein warmherziger Charakter, zugleich Alaides Bruder und Arturos Freund: Für seismografische Melodik, für Dramatik und mit dem Handlungsort der Klause am See von Montolino auch für Naturschilderung war «La Straniera» für Bellini ein inspirierendes Sujet im Spannungsfeld unbedingter Gefühle in einer Welt der Rationalität und Konvention.