Unter der Last der hohen Ansprüche

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (25.06.2013)

La Straniera, 23.06.2013, Zürich

Vincenzo Bellinis Oper «La Straniera» mit Edita Gruberova in der Titelpartie am Opernhaus Zürich

Selten wurde der Auftritt einer Sängerin im Vorfeld mit so viel schwülstigem Wortgeklingel («Primadonna ­assoluta», «Diva des Belcanto») garniert wie das Comeback von Edita Gruberova am Opernhaus Zürich, das die in Zürich lebende Koloratursopranistin einige Jahre lang demonstrativ gemieden ­hatte. Selbst der eigentlich der Sachlichkeit verpflichtete Besetzungszettel mit biografischen Angaben zu den Sängern beteiligte sich an der Heiligsprechung der aus Bratislava stammenden Sopranistin.

Nun hat ihr der neue Intendant ­Andreas Homoki ein Stück nach ihrer Wahl unter die Füsse gelegt, und so sang die mittlerweile 66-jährige Gruberova die Titelpartie der geheimnisvollen «Fremden» in der gleichnamigen Oper von Vincenzo Bellini aus dem Jahr 1829. Diese Fremde – eine Opern-­Schwester von Verdis Aida – wird Alaide genannt, heisst aber eigentlich Agnese und ist in Wirklichkeit die verschleppte rechtmässige Königin von Frankreich. In sie verliebt sich der Graf Arturo, der um der ­mirakulösen Fremden willen seine Hochzeit mit Isoletta aufs Spiel setzt.

Stimmliche Probleme

Das Alter Edita Gruberovas braucht einen dabei nicht zu stören: Alaide ist nicht explizit als junge Frau definiert, und überdies ist eine Oper ja kein Hollywood-Film und erträgt einiges an Realitätsferne. Zum Problem aber wurde die stimmliche Verfassung der Sopranistin. Zwar bringt sie immer noch ein gehöriges vokales Volumen auf die Matte, aber in der Premiere am Sonntag kämpfte sie mit den häufig zu scharf geratenden Spitzentönen und intonierte fast durchgehend zu tief. Diese technischen Mängel wurden durch die Ausstrahlung und die Bühnenpräsenz dieses verwelkten Gesangsstars bei Weitem nicht wett­gemacht. Das Publikum blieb höflich und mimte etwas Begeisterung. Aber frenetischer Beifall klingt anders.

Das sängerische Umfeld konnte sich mehr als sehen und hören lassen. Die Mezzosop­ranistin Veronica Simeoni ist nicht nur optisch, sondern auch stimmlich eine blühende Braut. Ihr Verlobter Arturo wird vom argentinischen Tenor Dario Schmunck mit wunderbarem Schmelz, aber auch viel Kraft und Differenzierungsfähigkeit in der Stimme ­verkörpert. Der Bariton Franco Vassallo ist ein kerniger, etwas eindimensional ­singender Baron Valdeburgho.

Der Chor der Zürcher Oper schleppte nur zu Beginn, das Orchester Phil­harmonia Zürich bot ein kraftvolles ­Tutti, erlesene Flötensoli – ein Markenzeichen des Melodikers Bellini – als Pendants zur Braut Isoletta und punktgenaue, etwas penetrant laute Posaunen-Staccati. General­musikdirektor Fabio Luisi behielt ­jederzeit die Kontrolle über das Geschehen, soweit das überhaupt in seiner Macht lag.

Seile hängen bereit

Der Regisseur Christof Loy hat sich mit seiner Bühnenbildnerin Annette Kurz für ein Einheitsbühnenbild in einem unbestimmt klassischen Design entschieden, was die Handlung nicht eben leicht nachvollziehbar macht. Alle Szenen der beiden Akte spielen in ­einem feudalen hölzernen Raum, in dem öfter von oben ein Seil herunterhängt – denn irgendjemand hat immer Grund, sich umbringen zu wollen.

Dass im Stück auch das Wasser eine Rolle spielt – Arturo versucht vergeblich, seinen Rivalen zu ertränken – und dass Alaide in einer Hütte im Wald lebt, muss man wissen, denn sehen kann man es hier nicht. Vielleicht war ein armseliger Bretterverschlag auch nicht das, was sich Frau Gruberova für ihr Zürcher Comeback wünschte.