«Sehr geehrte Frau Gruberova ...»

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (25.06.2013)

La Straniera, 23.06.2013, Zürich

Brief an die Königin der Oper

Vorbei das Warten, vergangen 10 Jahre, 6 Monate, 4 Tage: Am Sonntag stand am Opernhaus Zürich eine Premiere an und Ihr Name leuchtete vom Besetzungszettel! Nach einem Streit mit dem Hausherrn hatten Sie 2002 die Opernhaustür zugeknallt. Der Tyrann ist weg – und nach einem ersten Wiederaufnahme-Zückerchen letzten Herbst singen Sie nun im Alter von 66 Jahren die Festspielpremiere! Ein Opernfest, wenn nur diese Belcanto-Dramen nicht so abstrus wären, diesmal Vincenzo Bellinis «La Straniera».

A soll B heiraten, liebt aber die «Fremde» F, die offenbar C besser mag, weswegen C von A getötet wird und A sich gleich selbst richtet. Kaum passiert, stehen die zwei wieder auf der Bühne (C ist der Bruder von F!). A muss B heiraten. Ists getan, ersticht sich A und F entpuppt sich als Königin von Frankreich.

Das hält, verehrte Frau Gruberova, keiner aus. Und, nachdem man Ihnen vorgeschlagen hatte, «Straniera» zu singen, sagten Sie ja selbst, dass Sie beim Hören eingeschlafen seien. Auch unser Schicksal wäre im Opernhaus das gleiche gewesen, aber wir hatten das kolossale Vergnügen, Sie in der Titelrolle zu erleben.

Bellini macht es spannend. Fast eine halbe Stunde geht es, bis ein Laut von Ihnen zu hören ist – und den singen Sie erst noch im Verborgenen! Dann endlich kann man Sie sehen (das schwarze Kleid steht Ihnen bestens!). Nur schade, dürfen Sie jetzt nicht gleich eine Arie singen, sondern müssen sich von einem Tenor mit grossem Bauch im Duett anschmachten lassen. Egal. Auch nachher im Terzett oder Ensemble: Mein Ohr filtert Ihre Töne heraus, da mag Fabio Luisi noch so toll dirigieren. Zugegeben: Die anderen sind nicht schlecht, gerade dieser Tenor, Dario Schmunck (Arturo). Auch Franco Vassallo (Valdeburgo), Benjamin Bernheim (Osburgo) und Veronica Simeoni (Isoletta) singen prächtig. Aber was bleibt übrig, wenn man diese Opernhandwerker mit Ihnen vergleicht?

Öffnen Sie in Zürich den Mund, fliegen die Töne von einem seidenen Teppich getragen los, umkreisen den Erdball und kommen um tausend zauberhafte Köstlichkeiten bereichert sogleich zurück ins Haus. Nur Kleingeister sagen, es klinge nicht mehr so wie einst (zugegeben: Der Wackler auf «Un» bei «Un grido io sento» war etwas furchterregend). Sie «schreien» jetzt bisweilen auch, wenn es die Szene verlangt – und die sterbenden Töne verhallen tatsächlich abgründig im Nichts. Sie sind eine Operndramatikerin geworden. Aber nach wie vor balancieren Sie auch auf dem Stimm-Hochseil, beschenken uns mit zuckersüssem Kantilenenspiel, waghalsigen Trillerketten und tobenden Koloraturen. Sie crescendieren und diminuieren auf einem Ton, als seis ein Kinderspiel.

Aber es ist dennoch nicht die Perfektion, die die Emotion erzeugt, wie manche meinen. Ihre Perfektion macht Schaudern, das schon. Aber diese schiere Unfehlbarkeit fördert auch Töne, die zärtlich weinen. Ihre Technik erlaubt es Ihnen, die Farbe und somit den Charakter jeder Note zu verändern: So erhält ein «amo» eine Träne geschenkt, die bittersüss aus verliebten Augen rinnt.

Zum Schluss in der schönen Inszenierung von Christof Loy wird aus der «Fremden» die Königin. Sie schmücken sich mit den tollsten Klunkern – zu Recht! Kein Brillant ist zu teuer, um sich um Ihren Hals, um diese Stimmbänder zu legen. Ihr treuer

Christian Berzins

P.S. «Straniera» soll Ihre letzte Neuproduktion in Zürich gewesen sein? Nicht doch! Schenken Sie uns noch Bellinis «Norma»! Wir warten. Allerdings nicht wieder zehn Jahre.