Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (05.11.2013)
Regisseur Jan Philipp Gloger gibt mit Charles Gounods «Faust» seinen Einstand am Zürcher Opernhaus. Das Stück ist unterhaltsam, die Musik süffig - zwingend wirkt das Ganze trotzdem nicht.
Riecht es hier nach Schwefel? Aber nein, höchstens ein wenig nach parfümierter Pomade. Dieser Méphistophélès singt zwar Bass und trägt Schwarz, aber eine wirklich finstere Figur ist er nicht. Eher ein Variétékünstler, das hat der Regisseur Jan Philipp Gloger ganz richtig gesehen: einer, der seine Auftritte mit Lämpchen und Glitzervorhang in Szene setzt, der seine Tricks beherrscht und sein Publikum kennt.
Sein Publikum, das ist unter anderem Faust. Auch ihn hat Charles Gounod gegenüber Goethes Vorlage (und entsprechend dem französischen Gebrauchsschauspiel, das er als Hauptquelle für seine Oper verwendet hat) zurechtgeschrumpft: Was die Welt im Innersten zusammenhält, interessiert ihn nicht. Er ist kein Wissenschaftler, sondern ein Mann in der Midlife-Crisis, und entsprechend sind seine Wünsche: Jugend! Frauen! Durchfeierte Nächte! Eine Pause von seiner streng bezopften, bibellesenden Gattin, die ihm Gloger an den Frühstückstisch gesetzt hat! Das will er haben, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Und klar, das kann ihm so ein Méphistophélès verschaffen.
Das Unernste ernst genommen
Wo immer Gounods 1859 uraufgeführte Oper «Faust» auf die Bühne kommt, wird die Distanz zu Goethe von den einen bemängelt und von den anderen gelobt. Bei der Zürcher Aufführung kann man sich diese Debatte nun sparen: Das ist das grösste Verdienst des 33-jährigen Deutschen Jan Philipp Gloger, der einst an der Zürcher Hochschule der Künste Regie studiert hat und dann nicht nur im Schauspiel, sondern in den letzten Jahren auch in der Oper eine rasante Karriere gestartet hat.
Er hat Gounods Stück eine Stummfilmästhetik verpasst, vom Schwarzweiss der stilsicheren Ausstattung (Ben Baur und Karin Jud) bis zu Méphistophélès’ Pomadenfrisur. Vielleicht denkt man, vor allem bei den diabolisch verlängerten Augenbrauen, einen Moment an Will Quadflieg; aber das geht rasch vorbei, und dann ist man ganz bei Gounod: weil Gloger das Stück gerade in seinen unernsten Momenten ernst nimmt. Und weil er ihm, anders als 2012 seinem zum Cyborg mutierten «Fliegenden Holländer» in Bayreuth, nichts aufpfropft, sondern freilegt, was drinsteckt: die Leichtigkeit, aber auch den Kitsch; die Harmlosigkeit, aber auch die paar wenigen Momente echter Gefühle.Trotzdem fragt man sich noch in der Pause, warum man sich dieses Stück ansehen müsste. Natürlich, es ist unterhaltsam, zumindest streckenweise. Und die Musik ist süffig: Die Philharmonia Zürich unter Patrick Lange, den Andreas Homoki als Chefdirigenten an seine Komische Oper geholt und nun auch nach Zürich mitgebracht hat, entwickelt in den besten Momenten eine französische Souplesse (und in den anderen zumindest eine präzise, transparente Sicht auf die Partitur). Was Gounod hier zusammengeschnitten hat - Marsch und Orgelpomp, schlichte Liedformen und grosse Chorszenen -, das erhält im Orchestergraben seinen spezifischen Ton. Wenn Hector Berlioz einst nicht ganz zu Unrecht formulierte, die Oper biete «Pudding für das Volk», so klingt dieser Pudding hier immerhin präzis gesüsst und auf leicht verdauliche Weise nahrhaft.Dass das Ganze trotzdem nicht zwingend wirkt, liegt am Protagonistenpaar. Pavol Breslik, seit einem Jahr im Zürcher Ensemble engagiert, ist ein verdienter Mozart-Tenor, aber die Partie dieses Faust zwingt ihn allzu oft zum Forcieren. Und Amanda Majeski, die man als erfahrene Marguerite eingeflogen hat, singt auf ziemlich anonyme Weise schön. Beide Stimmen vergisst man, sobald die Figuren schweigen.Das fällt umso mehr auf, als ansonsten vokale Glanzpunkte gesetzt werden, auch in Nebenpartien: Anna Stéphany zeigt in der Hosenrolle des Siébel, wie rührend hoffnungslose Liebe klingen kann, und Elliot Madore verleiht Marguerites Bruder Valentin einen warmen, entwicklungsfähigen Bariton (beide gehören seit letztem Jahr zum Zürcher Ensemble). Auch die bewährte Irène Friedli hat einen herzhaften Auftritt als überreife Marthe. Im Zentrum der Show steht aber Kyle Ketelsens Méphistophélès, der über einen schmierigen Charme und einen einnehmenden Bass verfügt, der die komischen Seiten seiner Figur ausspielt und einen zwischendrin doch manchmal ein bisschen erschreckt.
Marguerite emanzipiert sich
Nach der Pause erschreckt er in einer Jesusverkleidung auch Marguerite, die eigentlich beten wollte. Denn sie ist inzwischen ganz unten angelangt, fast wie ihre Kollegin in der ersten Zürcher Opern-Neuproduktion dieser Saison: Auch die Marie in «Die Soldaten» glaubte an die Liebe und wurde zur Schlampe gemacht. Und obwohl Gounods Stück nie die Härte und Tiefe von Bernd Alois Zimmermanns Meisterwerk erreicht, obwohl das Drama hier eher ein Rührstück ist und die Musik alles tut, um die Abgründe zu verschleiern: Amanda Majeskis Sopran gewinnt zusammen mit ihrer Figur an Charakter.
Zum Teufel mit diesem Faust, der sie am Ende doch noch retten will! Er war nicht da, als sie sich nach ihm gesehnt hat in der schönsten Arie des Abends. Erst jetzt, da sie im Käfig sitzt, taucht er wieder auf. Aber sie zieht das Schafott vor, denn ihr Kind ist tot, ihr Bruder ist tot, ihr Glaube an die Liebe auch.
Und Faust bleibt zurück, allein, ohne Méphistophélès. Nur seine Gattin steht wieder da, zusammen mit den Kinderlein. Gerettet? Ach je.