Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (05.11.2013)
Charles Gounods «Faust» am Opernhaus Zürich scheitert am Konzept, am Handwerk – und auch an der Besetzung. Vieles wirkt zufällig, auch die Sänger stossen zuweilen an ihre Grenzen.
Was tut ein Priester, wenn jemand quasi vor seinen Augen erstochen wird und stirbt? In der Neuinszenierung von «Faust» am Opernhaus Zürich ist der Priester Teil des Chores, der die Gesellschaft des Zweiten Kaiserreichs Frankreichs abbildet, also die Entstehungszeit der Musik Charles Gounods. Und er tut halbrechts aussen einfach unauffällig nichts.
Enttäuschend belanglos
Das ist ein Detail, aber ein signifikantes für die enttäuschend belanglose Inszenierung Jan Philipp Glogers. Wenn man diese Oper ansetzt, müsste man dafür Gründe haben: Ein Regiekonzept, das etwas zu erzählen weiss etwa und eine charismatische Besetzung, oder besser beides. Gloger zeigt Faust zuerst mit seiner Familie: Drei putzige Kinder und die bibellesende Frau. Aber dann wirkt vieles zufällig und das bedeutet in der Oper immer, dass sich die Sänger in die szenische Konvention retten. Wie der Chor malerisch marschiert oder meistens statisch steht und dafür mehrmals aus dem Bühnenboden gefahren wird (das gibt ihm kompakte vokale Kraft), scheinen die Solisten über weite Strecken nicht so recht zu wissen, was sie eigentlich tun sollen.
Faust ruft Satan an
Faust hat also eben die Kinder verabschiedet und ruft jetzt Satan an, weil er mit seinem Leben nicht zufrieden sei. Der kommt eben mal so hereinspaziert. Er ist, trotz Kyle Ketelsens Präsenz und stimmlicher Verführungskraft, eher ein Variétézauberer. Für sein Rondo vom goldenen Kalb zaubert er die Bühne mit Rüschen und Lämpchen her, auf der er seine Show präsentiert: Für Faust erscheint darauf Marguerite (Amanda Majeski: Eine prachtvoll lyrische Stimme, die mit der Höhe dieser Rolle kämpft und erst am Schluss zu Intensität findet). Das neue Paar wird darauf der lüsternen Gesellschaft vorgeführt. Genau dann, wenn sie sich endlich zusammen ins Bett legen natürlich.
So ganz diesseitig will die Geschichte nicht in Fahrt kommen, obwohl gerade die beiden weltlichen Nebenfiguren Valentin und Siébel bei Elliot Madore und Anna Stephany eine gute Figur machen.
Das Orchester: Zu laut
Gloger verzichtet auch am Schluss auf alle höheren Mächte. Statt der himmlischen Rettung und Verklärung Marguerites gibt es ein ganz irdisches Ende. So bleibt eine noch banalere Seitensprunggeschichte, als sie diese Opernversion eh schon aus Goethes Stück gefiltert hat. Und leider trägt auch die Musik nicht über diese Lücken weg. Dirigent Patrick Lange führt rhythmisch straff und mit Sinn für die Farben durch die Partitur, scheint aber doppelt kompensieren zu müssen, wo die Szene nicht trägt.
Das bedeutet, dass das Orchester zu laut wird. Vor allem für Pavol Breslik in der Titelpartie. Seine Stimme klingt oft wie körperlos, trotzdem nähert er sich den Spitzentönen nur mit wahrnehmbarer Vorsicht. Schwerer wiegt aber, wie wenig Profil er der Figur auch musikalisch zu geben vermag.