In der profanen Welt zerbröckelt der Zauber

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (22.10.2013)

Lohengrin, 20.10.2013, Basel

Mit Richard Wagners «Lohengrin» in der Regie von Vera Nemirova feiert das Theater Basel einen grossen Erfolg

Neu erfunden hat die Regisseurin Vera Nemirova Richard Wagners romantische Oper «Lohengrin» zwar nicht, keinen neuen Interpretationsansatz entwickelt. Aber sie erzählt die Geschichte mit dem Blick von heute spannend und schlüssig, zeichnet die Figuren vielschichtig. Darin liegt die Stärke ihrer Opernarbeit. Sie dringt tief ein in Text und Musik, deckt auf, was da an Gewaltpotenzial, an Kriegsgerassel ebenso an Friedens-, Liebes- und Erlösungssehnsucht unter der Oberfläche schwelt. Wagners mittelalterliches Brabant ist verlegt in ein zeitloses Heute, die Historie wird dabei mit reflektiert.

Kirchenruine als verlorener Ort

Jens Kilian stellt einen einheitlichen Raum auf die Bühne, der für sich als Metapher spricht: eine alte Kirche, deren Mauern bröckeln. Der sakrale Raum ist fast schon Ruine. Das Heilige wird beschworen, herbei gesehnt, aber in der vom Krieg zerstörten und in Machtintrigen verstrickten Welt hat es keinen Platz – und es bleibt auch per se fragwürdig.

Die Männergesellschaft ist hier in einer Art verlorenem Ort gestrandet, als sie von König Heinrich zu neuen Kriegstaten aufgefordert wird. Telramund und Ortrud stehen ausserhalb, planen, wie sie nach der Macht greifen. Ortrud weiss bestens auf der Klaviatur patriarchalischer Machtstrukturen zu spielen: durchtrieben und herrschsüchtig. Ihr pures Gegenteil – und damit die helle Seite des patriarchalischen Frauenbildes – verkörpert Elsa, die Tochter des verstorbenen Herzogs. Sie ist kindliche Unschuld, naive Träumerin. Sie wird von Telramund des Mordes an ihrem verschwundenen Bruder bezichtigt, kann sich dagegen nicht wehren – und ist deshalb symbolträchtig in eine Zwangsjacke gesteckt. Wider das Unrecht kann sie nur beten und ihren Traumhelden herbeisehnen.

Der Held Lohengrin tritt nicht mit dem Schwan auf, in den Gottfried verwandelt ist. Er kommt mit dem Knaben selbst, der in seiner Zwangsjacke dem Schwan gleicht: ein klares Bild. Die Gesellschaft sieht im Helden den Licht- und Siegbringer – und damit beginnt Elsa, Selbstbewusstsein zu entwickeln. Ihr, dem erklärten Objekt seines Begehrens, ist es verboten, nach dem Namen zu fragen. Der Namenlose, der sich so mit Glanz umgibt, gebiert sich als Star in der Pose des Helden und Retters. Er ist und bleibt in seinem Wesen ambivalent. Lohengrin erhält menschliche Züge – ein zweifelhafter Held.

Starker Schluss ohne Hoffnung

Die Glücksmomente hellt Nemirova komödiantisch auf. Frauen und Männer bereiten dem Paar das Ehebett mit einer Kissenschlacht und mit Schattenspielen von Heldentat und Heldenliebe. Nur währt das Glück nicht lange: Im Ehebett fordert Elsa auch von Lohengrin bedingungsloses Vertrauen und stellt verzweifelt, dem Wahn nahe, die verbotene Frage. Er bricht in sich zusammen, verkriecht sich als gebrochener, trauriger Held, dem die Erlösung durch unbedingte Frauen-Liebe versagt bleibt. Wie hier die Hoffnung beider zusammenbricht, das berührt.

Der Männerbund um König Heinrich besingt noch Bier saufend das deutsche Schwert: eine feine, herrliche Satire auf das Kriegsgetöse. Doch das Wunder entschwindet allen – muss wieder in die erfundene Gralswelt der glorreichen untoten Helden. Zurück kommt das Kind Gottfried, der verheissene neue Herzog. Aus der Zwangsjacke befreit – schlägt es unbeholfen mit dem Schwert um sich. Das Volk stürzt davon, das Kind bleibt alleine zurück. Ein starker pessimistischer Schluss. Die Hoffnung wird Wagners Musik überlassen.

Hochspannung in der Musik

Dirigent Axel Kober setzt Wagners Musik unter Hochspannung. Mit dem Sinfonieorchester Basel entfaltet er enorme Dramatik, nimmt das Pathos raus aus der Musik und setzt auf genau abgestufte Klangfarben. Das packt durchwegs. Und die königlichen Fanfaren klingen von überall, von der Bühne und aus dem Saal.

Die Sängerdarsteller leisten Grossartiges. Rolf Romei gefällt als Figur Lohengrin. Im ersten Akt war noch die Frage, ob er die schwere Partie schafft. Im zweiten läuft er zur grossen Form auf, gestaltet fein und mit schönem tenoralem Schmelz. Herzergreifend singt Sunyoung Seo die Elsa – im Spiel behält sie das Kindliche, das zu ihrer Figur passt. Michelle De Young ist eine stimmgewaltige Ortrud, böse und intrigant, zuletzt etwas forcierend. Olafur Sigurdarson gibt einen im Innern düsteren Telramund, Ortrud und seiner eigenen Machtgier verfallen. Pavel Kudinov ist ein herablassender König. Andrew Murphy entfaltet als Heerufer kraftvoll seinen Bariton. Der Chor brilliert, zeigt das Volk, all die Männer und Frauen in den unterschiedlichen Stimmungen und in ihrer Wankelmütigkeit.

Der Jubel war gross an der Premiere – wohl eine Viertelstunde lang.