Wagners «Lohengrin», leicht gemacht

Tom Hellat, Tages-Anzeiger (22.10.2013)

Lohengrin, 20.10.2013, Basel

Wenn sich Regisseure in die Mythenwelt von Richard Wagners «Lohengrin» wagen, kann es leicht passieren, dass Beklemmung sie erfasst. Bleiern lasten der symbolträchtige Schwan, die ominösen Bannsprüche und das «Sieg Heil!»-rufende Chorvolk auf der Inszenierungsarbeit. Die deutsch-bulgarische Regisseurin Vera Nemirova hat sich davon nicht einschüchtern lassen. Sie nutzt ihre szenische Fantasie, um Wagners Musiktheater so anschaulich, verständlich und menschlich wie möglich zu erzählen.

Etwa die Sache mit dem Schwan. Ein theatraler Knackpunkt: Denn er muss ja einerseits einen Kahn ziehen, sich schliesslich in einen Jüngling verwandeln und ist obendrein noch Repräsentant einer geistigen Gralswelt. Vera Nemirova praktiziert hier «think small» - mit grosser Wirkung: weg mit dem Kahn, weg mit der Verwandlung, weg mit dem Schwan. Der federreiche Wegbegleiter ist von Anfang an ein kleiner Junge in Sneakers und Kapuzenpulli. Und als er sich zum Schluss als Erbe von Brabant erweist, greift er zum viel zu grossen lohengrinschen Schwert und verscheucht das Heer, als bestünde es aus Spielzeugkriegern. Und wieder herrscht statt waffenschwerem Wagner-Pathos spielerische Leichtigkeit vor.

Eine Leichtigkeit, bei der selbst die «Heer-Rufer-Szene» in einer Badegrotte stattfinden kann (Ausstattung: Jens Kilian), wo die Brabanten nicht mit Schwert und Schild, sondern mit Schwamm und Schrubber bewaffnet sind. Das im «Lohengrin» meist so kriegerisch auftretende Volk - bei Nemirova geht es sprichwörtlich baden.

In solcher frei assoziierender Entideologisierung ist freilich auch Lohengrin keine Überfigur. Der ihn singt, Rolf Romei, betritt die Basler Bühne als Rolf Romei. Von allen Verpflichtungen, so scheint es, hat sich der Tenor gerade freigemacht. Sein Lohengrin ist nicht in höherer Mission unterwegs, er will nur er selbst sein. Das kommt Romei auch stimmlich entgegen. Er muss kein visionäres Leuchten über die Rampe bringen. Und auch wenn seine Phrasierungen manchmal forciert klingen, darstellerisch verleiht er der Aufführung auf einnehmende Weise Format.

Er greift den Ton auf, den der Dirigent Axel Kober und das Sinfonieorchester Basel vorgeben: Die magisch orchestrierte Vision vom «unertötbaren Liebesverlangen des menschlichen Herzens», die Wagner hier auskomponiert hat, ist an diesem Abend kein die Sinne überwältigendes Strahlen, sondern ein samtweiches Schimmern.

Es ist ein Samt, den Michelle De Young als Intrigantin Ortrud gründlich zerfetzt. Augenrollend verspritzt sie ihre böse geifernden Tiraden und setzt sie gekonnt ins Licht menschlicher Bösartigkeit. Ganz im Gegensatz zu Sunyoung Seo als geheimnisvoll-spröde Elsa von Brabant, die sich anschickt, mit ihrer Lieblichkeit nicht allein den Schwanenritter, sondern das ganze Basler Publikum zu erobern. Ihr wunderbar gleichmässig geführter Sopran ist so krisensicher gegürtet, dass die Zweifel der Elsa fast schon irritierend wirken. Ohne falschen Pomp und Pathos liegt sie kurz vor Schluss sterbend in den Armen des Jungen. Mehr braucht es nicht in dieser feinen Personenregie. Da genügt es, wenn jemand entseelt darnieder sinkt.