Martina Wohlthat, Neue Zürcher Zeitung (22.10.2013)
Vera Nemirova inszeniert Richard Wagners «Lohengrin» am Theater Basel
Die Regisseurin Vera Nemirova verleiht ihrer «Lohengrin»-Inszenierung märchenhafte, gelegentlich auch heitere Züge; dabei werden die Tiefen des Stücks jedoch nicht ausgelotet.
Nach äusseren und inneren Kämpfen liegt Brabant darnieder. Ein erbärmlicher Trupp von Veteranen drängt sich um die Gulaschkanone, aus der der Heerrufer Suppe in die Blechnäpfe schöpft. In einer baufälligen Kirchenarchitektur (Bühnenbild: Jens Kilian) fordert König Heinrich von der Kanzel die Recken zum nächsten Kampf gegen die Ungarn auf, doch ausgerechnet jetzt ist das Land führerlos, der Herzog gestorben, sein Sohn und Erbe verschwunden. In Krisenzeiten seien Menschen besonders anfällig für Wunderglauben, meint die Regisseurin Vera Nemirova und inszeniert Richard Wagners Oper «Lohengrin» am Theater Basel als romantisches Märchen, das mit seinen naturalistischen Bildern streckenweise an altertümliche Heiligenlegenden erinnert. Der Ritter Lohengrin erscheint in der Inszenierung zunächst als Phantasiegestalt der schüchternen Herzogstochter Elsa, doch bald schon taugt der aus dem Nichts aufgetauchte «Schützer von Brabant» für die Projektionen eines ganzen Volkes.
Dagegen haben Elsa und Lohengrin als Liebespaar keine Chance. Am Rand der Szene sitzen ihre Gegenspieler Ortrud und Telramund auf gepackten Koffern. Die von ihnen des Brudermords beschuldigte Elsa, die vorsorglich in eine Zwangsjacke gesteckt wurde, erzählt von dem ihr im Traum erschienenen Ritter. Mit den überlangen Ärmeln ihrer Jacke ahmt sie den Flügelschlag des Schwanes nach, der den Retter zu ihr bringen soll. Doch beim Auftritt Lohengrins sieht man keinen mythischen Vogel, sondern der Schwanenritter trägt bereits im ersten Akt Elsas vermissten Bruder Gottfried auf den Schultern. Nach Lohengrins Gesang «Nun sei bedankt, mein lieber Schwan» verschwindet der Knabe erst einmal wieder in der Versenkung, um am Schluss der Oper daraus wieder aufzutauchen. Ein Theatercoup, der das Wunder in handliche Proportionen bringt. Was auf der Bühne geschieht, ist von Anfang an ziemlich vorhersehbar. Doch das darf hier wohl so sein, wie heisst es so schön im Gebet König Heinrichs: «So hilf uns, Gott, zu dieser Frist, weil unsre Weisheit Einfalt ist.»
Der Einfalt der Brabanter begegnet die Regisseurin Vera Nemirova mit augenzwinkerndem Humor. Vor der Hochzeit von Elsa und Lohengrin schrubben sich die Männer im Dampfbad, im Brautgemach wird eine federnstiebende Kissenschlacht veranstaltet, und König Heinrich leert erfreut darüber, dass seinem Heerruf so kräftig Folge geleistet wird, einen Bierhumpen. An Stellen, wo man vor lauter Säbelrasseln und Heilrufen leicht eine Gänsehaut bekommen könnte, darf geschmunzelt werden. Der Chor des Theaters Basel erweist sich hier einmal mehr als musikalisch und darstellerisch leistungsfähiges Kollektiv und öffnet zum Anstossen diszipliniert seine Bierdosen.
Allerdings wird die Oper insgesamt mehr opulent bebildert, als dass ihre Handlungsmuster erhellend aufgebrochen würden. Das gilt auch für die Personenregie, die im Dialog von Ortrud und Telramund auf stereotype Gestik zurückgreift, während Elsa, verkörpert von der koreanischen Sopranistin Sunyoung Seo, in ihrer Hingabe durchaus anrührend wirkt. Wie ein Kind, das nicht aufhören kann zu fragen, missachtet sie das Verbot, Lohengrins Herkunft zu ergründen. Auch stimmlich zeigt Sunyoung Seo sich ihrer Partie souverän gewachsen. Neben ihr überzeugt Rolf Romei in der Rolle Lohengrins als sensibler Frauenversteher. Sein Tenor besitzt lyrischen Schmelz und natürliche Strahlkraft, am Ende eines langen Abends meistert er die Gralserzählung mit Standfestigkeit, ohne zu forcieren. Daneben erscheint der Telramund von Olafur Sigurdarson aus gröberem Holz geschnitzt, wirkt Michelle De Youngs Ortrud eindimensional laut. Vonseiten des Orchesters ist es ein niveauvoller Abend. Der Dirigent Axel Kober versteht es, mit dem Sinfonieorchester Basel leuchtende Akzente zu setzen und die Musik in ihrem natürlichen Fluss voranzutreiben. Die liedhaft eingängigen Soli und Chorszenen erklingen ohne aufgesetztes Pathos, was zu der unprätentiösen, handfesten Inszenierung passt.