Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (13.09.2013)
Das Theater Basel startet erfolgreich mit Puccinis «Tosca» in die neue Saison: Starke Bilder und ein gutes Solistentrio
Verzweifelt stürzt sich Tosca von der hohen Mauer – und fällt auf die Theaterbühne. Die Bühne dreht sich, da steht sie wieder, die Sängerin – wie verloren auf den nächsten Auftritt in der nächsten «Tosca» wartend. Neben ihr liegt ihr Double, das sich soeben in die Tiefe gestürzt hat. So lässt Regisseurin Jette Steckel Giacomo Puccinis Oper von 1900 enden.
Sie verhandelt in ihrer Opernregie – gemeinsam mit dem Dramaturgen Jonas Zipf – die Kunstfigur Tosca, die 113 Jahre durch die Aufführungsgeschichte des Werks gewandelt ist. Die Sängerin stirbt in jeder Aufführung neu und schaut nun zurück auf ihr Leben als Theaterfigur. Zu Beginn steht sie da als Marienstatue mit Totengesicht, die erst mit der Musik zum Leben erwacht. Steckel nimmt die Sängerin mehrmals aus der Handlung heraus, lässt sie darauf blicken mit traurigem Ausdruck: Sie weiss, dass sie in ihrer Naivität wieder von Scarpia missbraucht und ihr Geliebter Cavaradossi wieder erschossen wird. Ebenso, dass sich ihre von Eifersucht und Unstimmigkeiten belastete Liebe erst im Tod verwirklicht. Der hoffnungslose Song «Bang Bang» von Sonny Bono ist ein Kommentar dazu – und im zweiten Akt auch ihre Arie «Vissi d’arte».
Der künstliche Mensch von heute
Das Regiekonzept erschliesst sich auf der Bühne leider erst mit dem Schlussbild – und ob es ganz aufgeht, bleibt fraglich. Was die Regie aber eindrücklich erzählt, ist, dass in unseren Zeiten des Internets und Fernsehens die grossen Gefühle, die grossen Gesten, die Freuden wie der Schmerz längst öffentliche Inszenierungen sind. Überborden die Emotionen, greifen die Figuren zum Mikrofon, singen sie hinaus in die Welt.
So inszeniert Steckel Puccinis Polit- und Liebeskrimi aus dem Rom um 1800 während der Revolutionskriege Frankreichs als eine Parabel. Der Maler Cavaradossi – hier Fotografie- und Videokünstler –, der aufmüpfige Geist, der den Revolutionär und Flüchtling Angelotti versteckt, liebt die pathetische Geste. Ebenso liebt er das Spiel mit dem emotionalen Feuer. Er geniesst die Eifersucht seiner Geliebten Tosca. Und Scarpia, der perverse Polizeichef und Folterer, der Angelotti und dessen Helfer Cavaradossi verfolgt, inszeniert protzend seine Macht- und Gewaltsucht. Er nutzt Toscas Eifersucht und ihre Liebe zu Cavaradossi kalt aus – auch um die berühmte Sängerin sexuell zu bezwingen. Tosca fühlt sich zugleich von ihm angewidert wie angezogen. Das zeigt sich noch, wenn sie ihn ersticht. Triumphierend ritzt sie ihm ihren Namen ein. Steckel bringt die exzessive Emotionalität auf die Bühne und hinterfragt sie zugleich nach ihrer Bedeutung. Sie gibt den Figuren eine Künstlichkeit, die genau passt zum Menschen von heute.
Starkes Erzählmittel ist das Bühnenbild von Florian Lösche, in das sich Alexander Bunges Videos perfekt einfügen. Lösche gliedert mit acht quadratischen Säulen auf einer Drehbühne die Räume. Sie sind mal Kirche, mal Palast oder Folterkammer. Enge, Beklemmung und Leere sind gleichermassen spürbar. Der Raum und der Gesang des Theaterchors, der Knaben- und Mädchenkantorei tragen bei zur starken Wirkung des Schlussbildes im ersten Akt: Vermummte Geistliche, Nonnen, Kinder finden sich zur ekstatischen Inszenierung von Religion. Das ist für Scarpia der richtige Ort, grauenvolle Pläne zu schmieden.
Liebespaar begeistert sängerisch
Eindrücklich spielt das Solistentrio. Allen voran Maxim Aksenov als Cavaradossi. Er hat sich zu einem herausragenden Tenor entwickelt, der mit wunderbarer Höhe und innerer stimmlicher Kraft den Cavaradossi stimmlich betörend gestaltet – mit schönstem Schmelz. Ein grosser Sänger. Svetlana Ignatovich mimt mit ihrem schönen, hellen Sopran sehr gut die Künstlichkeit der Toscafigur, macht eindrücklich ihre Entwicklung zur starken, liebenden Frau nachvollziehbar. Davide Damiani ist ein zynischer Scarpia – mit kernigem Bariton, aber etwas einfarbig. Fies und grossartig ist Markus Nykänen als sein Gehilfe Spoleta.
Enrico Delamboye lässt Puccinis Musik manchmal zu weich fliessen, zeichnet manch schöne Lyrismen, spitzt aber die Schärfen kaum zu. Gemeinsam mit dem detailgenau spielenden Sinfonieorchester Basel zeigt er sich als solider Begleiter, der den Sängern Raum und Atem lässt.
Das Theater Basel feiert zum Saisonstart einen Erfolg – mit Jutta Steckel, die als weitere Schauspielregisseurin an die Oper geholt wurde.