Bettina Kugler, Ostschweiz am Sonntag (08.09.2013)
Das Theater St. Gallen eröffnet die Spielzeit im Grossen Haus mit Mozarts «Don Giovanni»: Die Regie zeigt ihn als unverwüstlichen Bühnenmacho; Otto Tausk am Pult lässt die Sänger glänzen.
Mozart selbst hat mit dem Schluss gerungen. Im Manuskript der Partitur erkennt man Kratz- und Radierspuren; sie deuten darauf hin, dass er erwogen hat, mit Don Giovannis Tod zu enden, statt noch ein versöhnliches Sextett anzuhängen, in dem die Ordnung wiederhergestellt wird. Ein schöner Schluss wäre es zweifellos in Guy Joostens neuer Inszenierung am Theater St. Gallen, nur wenige Jahre nach dem letzten «Don Giovanni» zur Spielzeiteröffnung 2006/07: Der Wüstling nimmt den Fluchtweg durch den Künstlereingang und rettet sich auf die Bühne. Wo er dann weitermachen muss mit Ausschweifung und gesetzloser Freiheitsliebe.
Theater im Theater
Denn Don Giovanni ist für den flämischen Regisseur und seinen Bühnenbildner Johannes Leiacker in erster Linie eine Theaterfigur: ein lebensgieriges Stehaufmännchen. Lange vor Mozart und da Pontes vollkommener (und vollkommen rätselhafter) Oper geistert es durch die Literatur und wird so schnell nicht totzukriegen sein. Folgerichtig ist die Bühne ein Theater: Seitlich sieht man anfangs Zuschauer nach einer Vorstellung im Regen nach Hause gehen; der Bühneneingang bildet die Front. Spiel und Leben geraten hier und auf den diversen Schauplätzen hinter dem eisernen Vorhang schnell heillos durcheinander.
«Ihr seid nicht die erste – und werdet nicht die letzte sein», höhnt Diener Leporello Don Giovannis aufgebrachter Ex Donna Elvira im ersten Akt entgegen; mit dieser Gewissheit muss auch jede «Don Giovanni»-Inszenierung leben. Voll Spannung erwartet, gierig verschlungen in ihrer betörenden musikalischen Abgründigkeit, im Vergleich zu anderen Inszenierungen möglicherweise schal und schnell vergessen – oder eben auch nicht. Otto Tausk am Pult des Sinfonieorchesters St. Gallen und das Regieteam um Guy Joosten jedenfalls setzen alles daran, Mozarts Oper einmal mehr schlüssig durchzuspielen.
Ein Mantel-und-Degen-Held
Was vor allem bedeutet: nicht alles Mögliche auszuprobieren, sondern klare Lösungen zu suchen. In diesem Fall wird die Theatermaschinerie in Gang gesetzt mit zupackenden Bühnenarbeitern, mit Rössern aus dem Schnürboden, immer weitläufigeren Kulissen und reichlich Nebel. So bleibt Don Giovanni bis zum Schluss geheimnisvoll; eine flüchtige Projektionsfigur. Der Däne Palle Knudsen in der Titelrolle hat die perfekte Statur dafür. Gross, schlank, beweglich und immer mit erotischem Unterton in den flinken Rezitativen kann er es einfach nicht erwarten, gleich schon wieder die nächste Schöne aufzureissen. Sein eleganter Bariton passt zum Outfit aus dem Fundus eines Mantel-und-Degen-Stücks (Kostüme: Eva Krämer); im Timbre klingt er zuweilen wie auf einer nostalgischen Platte.
Ihm hündisch treu zur Seite steht Gabriel Suovanen als Leporello; stimmlich kann er sich mit kerniger Tiefe gegenüber dem Padrone gut behaupten, darstellerisch greift er ein wenig zu oft in die Klamottenkiste, obwohl er die kleinen boshaften Gesten durchaus im Repertoire hat. Aus dem Ensemble sangen in der Premiere Simone Riksmann die Zerlina, David Maze den Masetto und Wade Kernot den Komtur; alle drei machten neben den Gästen eine gute Figur. Dazu bringt die Partyclique um das Paar Zerlina/Masetto Farbe und den unvermeidlichen Klamauk ins Spiel. Zerlina ist ein blonder Vamp, halb Barbiegirl, halb Rockerbraut; Simone Riksmann lässt sie aufreizend gurren.
Souveräne Sängerinnen
Die Damen und Herren vom Theaterchor (Einstudierung: Michael Vogel) gehen in neongrellen Klamotten abtanzen: ein optisch etwas bemühter Versuch, die Inszenierung aufzupeppen. Ihr grosser Trumpf ist nämlich die Besetzung, allen voran die Damen Anna (Tatiana Lisnic) und Elvira (Stephanie Houtzeel), die ihre Partien ebenso farbenreich wie gekonnt zwischen Verwirrung, Herzeleid und Rachegelüsten taumeln lassen – Gefühle, die das Orchester im Graben sinnlich nährt. Anicio Zorzi Giustiniani gibt einen zärtlich zaudernden Don Ottavio, untadelig im Timbre, sanft wie ein Chorknabe bei so viel geballter Männlichkeit rundum. Chefdirigent Otto Tausk nimmt die Tempi mit Energie, aber noch sängerfreundlich. Mehr als drei Stunden dauert so, was eigentlich schon in der Ouverture zu Ende ist: die zur Unsterblichkeit verdammte Oper.