Held aus dem Guckkasten

Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (09.09.2013)

Don Giovanni, 06.09.2013, St. Gallen

Saisonauftakt am Theater St. Gallen: Guy Joosten lässt Mozarts «Don Giovanni» rund um ein altes Theater spielen; viel Beifall ernten die Sänger und Otto Tausk am Pult.

Schluss mit dem Theater. Das uralte Lied, «l'antichissime canzon», wie es sich die Überlebenden nach Don Giovannis Höllenfahrt im Finale von Mozarts vielgespielter Oper vorsingen, erklingt für einmal an der Rampe – konzertant. So konsequent wie Guy Joostens Inszenierung zum Spielzeitauftakt in St. Gallen insgesamt fallen die sechs am Ende aus der Szene heraus und singen aufgestellt in Reih und Glied, sich krampfhaft komisch an ihren Notenpulten festhaltend.

Nackte Haut, mässig Testosteron

Mehr als drei Stunden lang haben die Damen Anna und Elvira, der glücklose Rächer Don Ottavio sowie die armen Schlucker Leporello, Zerlina und Masetto versucht, neben dem Superhelden Don Giovanni ihren Platz zu finden. Jetzt ist er weg, verdammt zur ewigen Wiederkehr und Vernichtung auf der Bühne. Die Oper ist damit zu Ende; was bleibt, ist «nur» Musik.

Viel Beifall und vereinzelte Buhrufe erntete das Regieteam um den Flamen Guy Joosten dafür zur Premiere am Freitagabend. Eindeutiger fiel der Applaus für Chefdirigent Otto Tausk am Pult des Sinfonieorchesters St. Gallen aus. Nicht zuletzt weil «Don Giovanni» reichlich Fingerspitzengefühl im Umgang mit Tempo und Stimmfarben erfordert – was am Premierenabend über weite Strecken gut gelang.

Sängerisch dürfen die Figuren rund um Don Giovanni nämlich ihre Rollen mit Leben füllen, während der Däne Palle Knudsen in der Titelpartie immer auf der Flucht ist: mit schönem, weichem Kavaliersbariton und erotischem Appeal in den Rezitativen, aber auch etwas eingezwängt in sein altmodisches Erscheinungsbild aus dem Fundus eines Mantel-und-Degen-Stücks. Kein Wunder, muss dieser Guckkastenmacho immer wieder den blanken Oberkörper zeigen. Etwas mehr Testosteron in der Stimme hätte sich gut dazu gemacht.

Überzeugend besetzt

Die Bühne von Johannes Leiacker zeigt das Theater, in dem Don Giovanni der unverwüstlicher Wiedergänger ist. Seitlich sieht man schon während der Ouverture Zuschauer nach einer Vorstellung nach Hause gehen; der Bühneneingang bildet die Front. Später öffnet sich hier der eiserne Vorhang für allerlei Theaterzauber, für Rösser aus dem Schnürboden und reichlich Nebelschwaden. Bühnenarbeiter im Blaumann und Putzfrauen gehen ihrer Arbeit nach; die Hochzeitsgesellschaft um Zerlina und Masetto ist neonbuntes Partyvolk aus der Vorstadt.

Dem rein dekorativen Aktionismus arbeitet Joosten mit sorgfältiger Personenführung entgegen. Die Wahrheit liegt in der Musik, und dafür stehen gute Sänger auf der Bühne: allen voran die ausdrucksstarken Damen Anna (Tatiana Lisnic) und Elvira (Stephanie Houtzeel), ein kernig präsenter Gabriel Suovanen als Leporello, aber auch die Ensemblemitglieder Simone Riksman, David Maze und Wade Kernot.