Peter König, Der Bund (23.09.2013)
Ein mutige Wahl: Das Theater Biel-Solothurn zeigt Rossinis selten gespielte Buffo-Oper «Il turco in Italia».
Sie könnten Schwestern sein. Und sie könnten es so schön haben zusammen: Zaida, die wahrsagende Zigeunerin mit Haremshintergrund, und Fiorilla, die vom grauen Ehemann gelangweilte Neapolitanerin. Könnten, wäre da nicht die Sache mit den Männern. So aber geraten sich die Sopranistinnen derart an die Wäsche, dass die Diskussion um das Frauenschwingen nicht nur im Schatten des «Eidgenössischen» aufgekommen wäre. Das Publikum freuts, und überhaupt scheinen Werkwahl und Umsetzung den hiesigen Geschmack getroffen zu haben.
Nicht selbstverständlich, denn der 1814 an der Scala uraufgeführte «Il turco in Italia» stand stets im Schatten Rossinis bekannterer Buffo-Opern «L’Italiana in Algeri» oder «Il barbiere di Siviglia». Eine mutige Wahl also für den Start der Ära Kaegi am Tobs. So kurz und keck (Theater Orchester Biel Solothurn) nennt sich hier, was in Bern eher umständlich «Konzert Theater Bern» heisst. Mutig auch, weil die Messlatte für Rossini am Jurafuss besonders hoch liegt: Immer wieder hat das Haus mit mustergültigen Inszenierungen bewiesen, wozu es in der Lage ist, neben «Barbier» oder «Italiana» gab es Raritäten wie «Tancredi» oder «Otello».
Melodien, Witz und Drive
An der Musik kann es nicht liegen, dass es der «Türke» schwer hat, schon der frühe Rossini geizte nicht mit Melodien, Witz und Drive. Im Zeitalter der Übertitelung ist auch die verschachtelte Handlung kein Problem mehr. So amüsiert sich das Premierenpublikum köstlich, wenn sich Fiorilla als Nymphomanin outet, wie Zaidas Beschützer Albazar (Fernando Cuellar als Mischung von Zuhälter und Zampano) sein Geschäft managt, und natürlich, wenn Michele Govi auf der Bühne ist.
Genau: Der Sänger der Titelfigur (Selim mit Namen) muss eigentlich nicht viel mehr machen, als einfach da zu sein. Regisseur und Ausstatter Pierre-Emmanuel Rousseau sieht in ihm einen Schausteller und Scharlatan, als Mischung von Canio und Dulcamara. Das gibt auch den Rahmen; Jahrmarktversatzstücke, unverblümt als solche erkennbare Kulissen und Lichtgirlanden kreieren eine wunderbare Kirmesatmosphäre.
Michele Govi nutzt jeden Auftritt, um, man kann es nicht anders sagen, das Kalb zu machen. Was dieser Sänger stimmlich zu leisten imstande ist, weiss man hier zur Genüge, es steht nun aber nicht im Vordergrund. Den Abend zum Vergnügen machen Govis komödiantisches Talent und seine Fähigkeit zur Selbstironie. Da müssen die übrigen Protagonisten zwangsläufig im Schatten stehen, mit Ausnahme immerhin von Bojidar Vassilev als Dichter Prosdocimo.
Dieser bestreitet sozusagen die Rahmenhandlung, muss er doch ein Stück schreiben und sucht sich aus dem Geschehen laufend die Inspiration dazu. Vassilev gibt ihn als «Master of Ceremonies», was doppelt passt, hier Strippenzieher, dort eine Figur aus schillernder Scheinwelt. Vokal schön, aber vom Libretto nicht eben verwöhnt ist der Tenor Enrico Iviglia als (wie passend!) Don Narciso, Fiorillas Lover. Die Blässe der übrigen Figuren mag zum gehörnten Ehemann Don Geronio (Marian Krejcik) noch passen. Warum sich aber Selim gerade um diese beiden Damen reisst, wird weder szenisch noch akustisch klar. Angélique Boudeville
Zaida klingt durchwegs verhalten, auch dort, wo mehr Impetus zwingend wäre. Und Rosa Elvira Sierra kann die Leuchtkraft ihres Koloratursoprans als Fiorilla kaum je zur Geltung bringen. Theater- und Orchestergrösse in Biel gemahnen an die Opernwirklichkeit vieler italienischer Städte zu Rossinis Zeiten. Das bedeutet einerseits wunderbare Intimität und Nähe zur Bühne, andererseits fallen Ungleichgewichte im Graben schnell auf. So war denn der musikalische Teil dieser Premiere noch nicht frei von Trübungen und Blechpatzern, auch die Klangbalance kann noch verfeinert werden. Doch Dirigent Marco Zambelli hat seinen Rossini und das Werk begriffen; er deutet beides aus Tradition und Geist des 18. Jahrhunderts heraus und wird sicher in den Folgevorstellungen noch an Präzision zulegen können.