Wer mit wem? Und warum?

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (14.02.2006)

La finta giardiniera, 12.02.2006, Zürich

«La finta giardiniera» von Wolfgang Amadeus Mozart im Opernhaus Zürich

Auch Mozart ist von woher gekommen. Der erstaunliche Aufstieg als Wunderkind, die unglaublich rasche Ausfaltung des Eigenen, das Leben im Zeitraffer - davon weiss man. Seltener macht man sich bewusst, dass natürlich auch Mozart werden musste: dass es Vorstufen gibt, Erkundungen, die Suche nach dem Idiom in der Auseinandersetzung mit dem Gegebenen. Davon zeugt das Frühwerk, für das sich derzeit kein Musiker so einsetzt wie Nikolaus Harnoncourt. Mit dem Concentus musicus Wien spielt er für das Label Deutsche Harmonia mundi die frühen Sinfonien ein, vor einem knappen Jahr hat er in Wien mit grossem Erfolg «Lucio Silla» vorgestellt, eine packende Opera seria des Sechzehnjährigen. Und jetzt, zum 250. Geburtstag des Komponisten, macht er im Opernhaus Zürich auf «La finta giardiniera» aufmerksam, das dreiaktige Dramma giocoso, das Mozart 1774/75, im Alter von achtzehn Jahren also und noch voll unter väterlicher Obhut, für den Hof in München komponiert hat.

Ungeschminkt

Wie es in älteren Phasen der Mozart-Rezeption üblich war, «La finta giardiniera» als unreifes Jugendwerk zu sehen und dementsprechend abzuwerten, gehört es heute zum guten Ton, das Stück zu den frühen Meisterwerken zu zählen und es von daher zu überhöhen. Beides schiesst übers Ziel hinaus. «La finta giardiniera» bietet viel, ja in den gut drei Stunden Spieldauer zu viel; die Oper hat - für den Hörer von heute - merkliche Längen und damit ihre Schwächen. Nimmt die Auslegung des komplexen Beziehungs- Durcheinanders zwischen zwei adligen Paaren und einem Dienerpaar sowie einem als Animator fungierenden Bürgermeister im ersten Akt noch weitgehend gefangen, so wirken die dramatische Zuspitzung im zweiten Akt und ihre Auflösung im dritten doch sehr ausführlich - und das, obwohl für die Zürcher Aufführung gerade hier kräftig der Rotstift gezückt worden ist.

Dessen ungeachtet lässt sich in diesem Stück eine Vielzahl von Entdeckungen machen. Zumal Nikolaus Harnoncourt am Pult des Orchesters La Scintilla der Oper Zürich die musikalische Diktion in bewährter Manier zuspitzt und Tobias Moretti als Regisseur das Team auf der Bühne grossartig bei Laune hält. Spielort ist im Entwurf des Bühnenbildners Rolf Glittenberg - anders als eben erst bei der Salzburger Mozartwoche, wo Doris Dörrie das Geschehen in ein Gartencenter verlegt hat (vgl. NZZ vom 24. 1. 06) - die protzige, von neuem Reichtum zeugende Villa des besagten Bürgermeisters, dessen Stolz nicht nur sein Amt, sondern ebenso sehr seine Kakteensammlung ist: Um die Dornen der Liebe geht es hier und um die Anmassungen, die man sich in höheren Schichten erlaubt. Schon in der Ouverture und der Introduktion zeigt Harnoncourt, indem er die Hörner immer wieder vorlaut auftrumpfen lässt, dass er dem kritischen Potenzial des Werks besonders gewogen ist.

Doch vorerst darf man sich von Herzen amüsieren, ist doch die Reihe an Rudolf Schasching, der in der Rolle des schrecklich verliebten Bürgermeisters seine erste Arie bewältigt: dröhnend und chargierend, in wenigen Momenten sogar singend. Überhaupt wird an diesem Abend gern dick aufgetragen. Zum Beispiel beim bald darauf folgenden Auftritt der schnippischen Arminda, für den Renate Martin und Andreas Dornhauser (Kostüme) die fabelhafte Sopranistin Isabel Rey im Stil einer Swissair-Hostess der sechziger Jahre eingekleidet haben. Oliver Widmer, der stimmlich schon gepflegter erschienen ist, spart in der Partie des verkleideten Gärtners Nardo nicht mit Grimassen, während Julia Kleiter, die ihre Arien untadelig meistert, als forsche Dienerin Serpetta munter Bein zeigt. Nur Ruxandra Donose in der Hosenrolle des Ritters Ramiro findet etwas wenig Profil.

Wer sich durch die deftige szenische Betriebsamkeit nicht vom Zuhören ablenken lässt, begegnet im ersten Akt zum Beispiel jener Arie, in welcher der Graf Belfiore, der gegen die eine das Messer erhebt und sich dann zum Zwecke der Eheschliessung der anderen zuwendet, eine verstiegene Ahnentafel ausbreitet; und er kann, da Harnoncourt die Partitur wie gewohnt äusserst wörtlich nimmt, an dieser Stelle verfolgen, wie ein gebrochen aufsteigender Dur-Dreiklang in herrischem Forte anhebt, dann aber rasch in kleinlautes Piano versinkt - ein musikalischer Seitenhieb, der den kurfürstlichen Auftraggebern gewiss nicht entgangen ist. Und hier wie erst recht später am Abend lässt Christoph Strehl erkennen, dass er seinen wohlklingenden Tenor inzwischen sehr nuanciert einzusetzen versteht. Berückend aber vor allem Eva Mei als finta giardiniera, als verkleidete Gärtnerin Sandrina; einen Eindruck davon vermittelt die stille, von den Geigen mit dem Dämpfer, den tieferen Streichern gezupft und vom Cembalisten Thomas Grabowski mit dem Lautenzug begleitete Cavatina, die in der denkbar innigsten Weise vorgetragen wird.

Zerbröselt

Nach dem ersten Akt und der Pause erlahmt das Interesse aber rasch und nachhaltig. Natürlich: Nikolaus Harnoncourt, der die Partitur genau und zugleich eigenwillig interpretiert, dabei aber etwas wenig auf technische Sorgfalt achtet, wirft Schlaglichter, Tobias Moretti gelingt manch witzige szenische Spiegelung des musikalischen Geschehens, und am Ende, wenn sich die Wolken des Zorns verzogen haben und das im Vordergrund stehende Paar langsam, langsam wieder zueinander findet, ergeben sich berührende Momente. Aber die Klimax braucht enorm Zeit, und im lieto fine gibt die Inszenierung keinerlei Auskunft zur Frage, was nach den ganzen Verirrungen und Verwirrungen aus den betroffenen Menschen geworden ist - da stiehlt sich der Regisseur kurzerhand davon. Dass auch Mozart woher gekommen ist, erfährt man fürwahr; und sehr gern denkt man daran, wohin er mit seinen sechs grossen Opern gegangen ist.