Im Barockhimmel

Verena Naegele, Basler Zeitung (28.01.2014)

Alcina, 26.01.2014, Zürich

Das Zürcher Opernhaus serviert mit «Alcina» einen Festschmaus

Es ist ein seltener Hype, dass sämtliche Aufführungen einer Oper schon vor der Premiere ausverkauft sind. Die Sängerin Cecilia Bartoli macht es in Zürich möglich, wohin sie mit dem Rollen­debüt der Alcina zurückgekehrt ist. Welch ein Druck muss auf dieser Prima- donna gelastet haben, und wie souverän hat sie diese Aufgabe gemeistert!

Doch es war nicht einfach Signora Bartoli, die den Abend zum grossen Ereignis machte, sondern ein Ensemble, das über sich hinauswuchs, geführt von einem phänomenalen Giovanni Anto­nini am Pult des Orchestra La Scintilla und beflügelt von einer einfühlsamen, stimmigen Inszenierung von Christof Loy. Dieser macht aus einer typischen barocken Zauberinsel-Oper, die von Prunk und Verwandlung lebt, das Psychogramm einer liebenden Frau, um es am Schluss raffiniert zu brechen.

Verwirrspiel der Geschlechter

Für die Scheinwelt des Zauber­reiches kreierte Loy als Metapher eine barocke Opernbühne mit gemalten Wolken und prunkvollen Gewändern (Bühnenbild Johannes Leiacker). Der dritte Akt spielt dann hinter der Szene, man sieht die Kulissenteile von der Rückseite. Ruggiero lässt gemäss Libretto das Reich untergehen, und aus der Versenkung erscheint Alcina im Barockkleid, zur Statue erstarrt. Tempi passati und alles doch so nah, denn Loy verdichtet die Handlung geschickt durch die Streichung der Figur des Orlando, dem Alcina mit Zaubereien übel mitspielt, sowie durch den Verzicht des Geisterballetts am Ende des zweiten Aktes.

Damit erhält das Liebesleiden Alcinas zentrales Gewicht, ihr c-Moll-­Lamento «Ah! Mio cor! Schernito sei», von Cecilia Bartoli verinnerlicht und bis ins feinste Piano gesungen, erhält berührende Dimensionen. Bartoli, die sonst mit koloraturgetränkten Arien brilliert, lernt man in den Andante-Arien von einer ganz neuen, wunderbar innigen Seite kennen.

Das Furioso bedient dafür Bradamante, von Carduhi Abrahamyan mit höchster Virtuosität gesungen und verkörpert. Köstlich, wie sie ihren schwarzen Anzug bis zum BH ablegt, um sich dem geliebten Ruggiero als Frau zu erkennen zu geben.

Christof Loy spielt meisterhaft mit dem Geschlechter-Wirrwarr. Er versteht es, selbst bei all den Arien szenisch zu dialogisieren. Morganas «Tornami a vagheggiar» ist so ein Moment. Sie entledigt sich ihres orangen Kleides, die als Mann in Anzug verkleidete Bradamante herzt es innig und streift es sich sogar über: Sehnsucht nach Morgana spielend und sich eigentlich danach sehnend, wieder Frau sein zu dürfen. Julie Fuchs singt das schmelzend schön, sie ist überhaupt eine vielseitige Sängerin, lyrisch und ihre Koloraturen lupenrein und nie Selbstzweck.

Dirigent mit Blockflöte

Unter Giovanni Antoninis Führung wird aber auch das schwierigste Singen leicht gemacht. Ungemein agil, farbenreich und klar in Rhythmus und Phrasierung wird da gespielt, das Orchester La Scintilla läuft zur Höchstleistung auf. Antonini lässt es sich nicht nehmen, eine Blockflötenpartie persönlich vom Dirigentenpult zu spielen. Einzig die zwei Hörner in Ruggieros Arie «Sta nell’Ircana» gingen gründlich daneben, was der Szene aber keinen Abbruch tat.

Die Freude Ruggieros über die wiedererlangte Freiheit wird derart sprühend gesungen und gespielt, dass es am Ende Bravorufe gab. Malena Ernman singt das nicht nur mit grosser Verve und farbenreicher Stimme, sie agiert und tanzt dazu gekonnt, witzig sekundiert von fünf tanzenden Männern im Anzug (Choreografie Thomas Wilhelm). Fabio Trümpy (Oronte) und Erik Anstine (Melisso) ergänzen das fulminante Ensemble. Am Schluss gab es stehende Ovationen.