Spieglein, Spieglein an der Wand

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (13.01.2014)

Alcina, 11.01.2014, Luzern

Händels Oper «Alcina» im Luzerner Theater

Die vertrackte Geschichte um die Zauberin Alcina, die Georg Friedrich Händel so grandios vertont hat, wird im Luzerner Theater zu einem Verwirrspiel im Spiegelkabinett. Der Abend hat seine Längen wie seine Reize.

Wie doch die Zeit vergeht. Lange als fade Abfolge von Secco-Rezitativen und Da-Capo-Arien verfemt, gehören die Opern Georg Friedrich Händels heute wieder zu den Spitzenreitern auf den Spielplänen. Die Initialzündung dazu kam – das ist zwar vergröbernd, kann man aber sehr wohl so sehen – aus Zürich, wo die Wiederentdeckung Claudio Monteverdis durch Nikolaus Harnoncourt ab 1975 ungeahnte Folgen gezeitigt hat.

Ohne das wäre die Natürlichkeit, mit der das Luzerner Theater die Barockoper pflegt, ebenso wenig denkbar wie die Selbstverständlichkeit, mit der das von Dominique Mentha geleitete Haus versucht, musikalisch auf der Höhe der Zeit zu stehen. Das zeigt sich jetzt bei «Alcina», der letzten Zauberoper Händels, die in zwei Wochen auch am Opernhaus Zürich in Premiere gehen wird. Das Luzerner Sinfonieorchester verwendet zwar keine Darmsaiten, es macht sich jedoch die Errungenschaften der historisch informierten Spielweise vielfach zunutze: Es setzt das Vibrato als Verzierung ein, es phrasiert kleinteilig und artikuliert spritzig. So erreicht es unter der Leitung von Howard Arman, der vom Cembalo aus dirigiert, einen bisweilen etwas spröden, oft aber grossartig opulenten, interessanten Klang.

Arbeit am Stil

Auf der Bühne wird diesbezüglich nach Massen mitgehalten. Für die jungen Sängerinnen und Sänger, die in Luzern mit von der Partie sind, gehört das Vibrato zu den Grundlagen ihrer Kunst. Sie haben aber hörbar an den stilistischen Prämissen gearbeitet, weshalb etwa Dana Marbach als Morgana, als Schwester der Zauberin Alcina, in ihrer entscheidenden Arie im zweiten Akt einzelne Töne ganz gerade ansetzen, sie spannend aufladen und sie dann in ein wirkungsvolles Vibrato überführen kann – grossartig ist das. Lebendig, ja risikofreudig wird verziert – was vor allem dann gefordert ist, wenn in den Da-Capo-Arien nach einem etwas anders gearteten Mittelteil der Anfang wiederholt wird. Das gilt auch für den Südkoreaner Carlo Jung-Heyk Cho, der seinen geschmeidigen Tenor dem Offizier Oronte leiht.

Mehr Mühe bereiten in Luzern die in der Barockmusik auch von den Stimmen verlangten Triller; eigenartig, dass die Gesangsausbildung bis heute nicht in der Lage ist, hier die erforderlichen Grundlagen zu schaffen. Zumal etwa die Sopranistin Simone Stock vorführt, zu welch hinreissenden Ergebnissen ein geeignet geformtes, nämlich obertonreiches Timbre und souveräne Beweglichkeit führen können; die Rachearie des Oberto sorgt am Ende für einen späten Höhepunkt. Darüber hinaus kommt es zu einer ganzen Reihe bemerkenswerter Auftritte. In der Titelpartie der verführerischen Alcina breitet Jutta Maria Böhnert einen weiten Fächer an Affekten aus, während Marie-Luise Dressen als ihr Geliebter Ruggiero und Carolyn Dobbin als dessen heldenhafte Braut Bradamante mit perlenden Läufen prunken.

Szenische Aussage

Dass der Abend, wenn die Pause nach dem ersten Akt gemacht wird, etwas lang wird, mag an der geringen dramaturgischen Stringenz des (hier massvoll gekürzten) Werks liegen. Jedenfalls verliert sich das musikalische Profil nach der Pause merklich. Erst recht gilt das für die Inszenierung von Nadja Loschky, die im zweiten Teil des Abends einige Sackgassen aufsucht. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass hier eine begabte Regisseurin am Werk war, die nicht illustriert, sondern anregend interpretiert. Die verschiedenen Spielorte des Geschehens fasst sie in einen einzigen zusammen – und schwarz sind dieser Zauberpalast wie seine Bewohner darum, weil hier alles, was nicht den Launen der nymphomanen Königin entsprach, sogleich in lebloses Getier verwandelt worden ist. Die beweglichen Wände auf der Drehbühne von Philipp Fürhofer und die aussagekräftigen Kostüme von Gabriele Jaenecke sorgen für szenische Abwechslung, während die zahlreichen Spiegel anzeigen mögen, dass die Liebe auf dieser Zauberinsel bloss narzisstischer Art ist. Noch mangelhaft ausgebildet ist die Personenführung; da werden Augen gerollt und Münder verzerrt, dass man sich geradewegs ins Studententheater versetzt fühlt. Dass man von Nadja Loschky aber noch hören könnte, ist nicht ausgeschlossen.