Herbert Büttiker, Der Landbote (20.01.2014)
Peter I. Tschaikowskys «Lyrische Szenen» sind im Theater Basel Opernkonvention der Gegenwart – die Stärken des neuen «Eugen Onegin» liegen im Musikalischen. Was der Premierenapplaus bestätigte.
Mit Svetlana Ignatovich und Sunyoung Seo hat das Theater Basel das Glück, gleich zwei hervorragende Sopranistinnen für die grossen lyrisch-dramatischen Partien im Engagement zu haben. Das war wiederholt zu erleben. Jetzt teilen sie sich die kommende Aufführungsserie des «Eugen Onegin», der am Samstag Premiere hatte, Sunyoung Seo war die Tatjana dieses Abends, und sie war mit ihrem strahlend schlanken und schmiegsamen, aber zu grosser Emphase fähigen Sopran eine ideale Interpretin für die «Briefszene» der jungen Frau, die von den sehnsüchtig erwarteten und durch Lektüre sentimentaler Romane genährten Gefühlen der grossen Liebe überwältigt wird.
Tschaikowskys musikalischer Sinn für die Fatalität unausweichlicher Bestimmungen blüht hier mächtig auf, dehnt eine einzige Szene zum Erleben einer ganzen aufgewühlt durchwachten Nacht zwischen Zweifeln und Entzücken. Vorahnend und nachwirkend lebt die Oper von dieser zentralen Szene, und die 1879 uraufgeführte Oper hätte demnach auch nach der Protagonistin heissen können statt nach dem dandyhaften jungen Mann, in den sich Tatjana verliebt und von dem sie sich kühl, ja gemassregelt, zurückgewiesen sieht.
Abgestanden
Doch Eugen Onegin, dem am Ende der Scherbenhaufen eines verpfuschten Lebens bleibt, ist eine Titelfigur nach Tschaikowskys Seelenlage. Im Theater Basel verkörpert ihn Eung Kwang Lee mit kernigem Bariton, aber nicht eben facettenreich, in seiner Soloszene auch vom Orchester bedrängt. Vor allem aber reduziert ihn die Inszenierung auf den uniformen Habitus der nervös gelangweilten Randfigur unattraktiv und einförmig. Dass die Regisseurin Corinna von Rad karikierend zeichnet, betrifft aber weit mehr die weiteren Frauenfiguren und zumal den Chor. Die Ballszenen sind auf die niederschwellige Art von Slapstick-Komik fokussiert, die einem als sattsam bekannter Abklatsch marthalerscher Aperçus schon ziemlich abgestanden vorkommt.
Ein Déjà-vu ist auch das szenische Konzept (Ralf Käselau): der Saal im miefigen Look der 60er-Jahre, der Tatjana auch (Klappbett in der Wand) als Schlafzimmer dient. Auch eine Hausbühne ist da – für den Auftritt eines symbolträchtigen Karussells zum Beispiel, sowie eine Galerie, auf der sich ebenso symbolträchtig auch einmal der russische Bär zwischen Birken tummelt. Es gibt die wechselnden Nummerntafeln für das Kirchengesangsbuch, ohne dass je ein solches Buch zu sehen ist – viele beiläufige Details, die nebenherlaufen. Die nüchterne Saalbeleuchtung, die in der Briefszene zum Laternenzauber mutiert, macht bewusst, was der Bühne sonst eher abgeht: die Fähigkeit, musikalische Farbe und Stimmung zu reflektieren, Atmosphäre.
Auch der schräge Kostümmix (Sabine Blickenstorfer) hilft wenig dabei, in die Geschichte hineinzufinden, und so hält man sich bei diesen «lyrischen Bildern» weniger an die Bilder als ans Lyrische: Wo die Figuren ganz bei sich sind und ganz im Dialog, in der Arie, in der dramatischen Szene, da gewinnt der Abend die Strahlkraft, die auch aus dem Orchestergraben kommt. Hier musiziert das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Erik Nielsen intensiv und mit grosser Farbpalette, wobei man sich für manche lyrische Passagen auch flüssigere Tempi vorstellen könnte.
Starke Schlussszene
Aber die Sänger halten mit: Packend gestaltet der Tenor Andrej Dunaev die Arie des Lenski, diejenige des Fürsten Gremin erhält mit dem sonoren Bass von Liang Li das volle Gewicht der gefestigten Gegenfigur zu Tatjana und Onegin. Mit aller Emphase führen Eung Kwang Lee und Sunyoung Seo in der Schlussszene vor, wie die beiden, die sich einst verpasst haben, mit ihrer Wiederbegegnung in einen Strudel geraten, dem sie nur gebrochen entrinnen – ein Opernereignis, das mit manchem versöhnte, was an diesem Basler «Onegin» keine Funken werfen wollte.