Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (20.01.2014)
Oper Tschaikowskys «Eugen Onegin» am Theater Basel überzeugt sängerisch und gewinnt szenisch stark im zweiten Teil
Selbstverliebt, cool und melancholisch geht er durch die Welt, Eugen Onegin. Corinna von Rad durchleuchtet die Titelfigur von Peter Iljitsch Tschaikowskys «Eugen Onegin» nach Puschkins Versroman mit ihrem Blick von heute aus. Ihre «Onegin»-Inszenierung am Theater Basel spielt in einem Foyer, da steht Onegin und schaut in sich, aus der Ferne erklingt der Bauernchor, der erinnert ihn an Tatjanas Liebe zu ihm, die er schnöde zurückwies. Leere ist ihn ihm. Der Foyerraum (Bühne: Ralf Käselau) ist Metapher für die Vorhalle zum Leben. Onegin verharrt hier ohne Empathie, ohne Leidenschaft. Kein Feuer brennt in ihm, nicht mal sein Feuerzeug, mit dem er sich die Zigarette anzünden will, gibt eine Flamme. Eine starke stille Szene zu Beginn – vor der Ouvertüre.
Welten von heute und von gestern
Onegin fungiert in von Rads Regie nicht nur als handelnde Figur, sondern auch als Erzähler, blickt immer wieder von aussen auf sich, und auf das, was er an Zerstörung in anderen Menschen hinterlässt. Er ist ein Narziss – ganz aus heutiger Zeit.
Eung Kwang Lee spielt die Figur stark, ist ganz dieser coole Schnösel, überheblich, blind gegenüber dem Leben und den Menschen, die ihn umgeben. Mit schlankem, kernigem Bariton gestaltet er den Onegin auch sängerisch genau, mal abweisend kalt, dann wieder kindlich trotzig.
Auch die anderen Figuren finden nicht ins Leben. Die ganze Geschichte spielt sich im Foyer ab. Die dunkelbraune Farbe des Raums steht für die Erde, das Land, dem eigentlichen Spielort der Oper. Die russische Landschaft wird als Fenster sichtbar. Die Bäuerinnen tragen Kostüme aus der Vergangenheit. So versucht von Rad den Spagat zu schlagen zwischen der Geschichte des modernen Narziss und dem Russland des 19. Jahrhunderts. Ihre Regie ist eine erzählende – selbst in der psychologischen Durchleuchtung der Figuren.
Die Gutsherrintochter Tatjana, die in Liebe zu Onegin entbrennt, ist ganz Träumerin, versunken in ihre Bücher und in die Sterne schauend. Ihr gibt Sunyoung Seo mit ihrem klaren, warmen, strahlenden Sopran ergreifend Ausdruck. Sie verlässt sich in ihrem Spiel sehr auf ihren perfekten Gesang. Sie berührt mit ihrer Arie, in der sie ihre Leibeshymne an Onegin schreibt, dennoch bleibt diese Szene etwas statisch – wie auch andere im ersten Akt. Das liegt nicht allein am Spiel oder an der Regie, sondern stark an Erik Nielsens Dirigat. Er, der für den erkrankten Giuliano Betta vor gut einer Woche einspringen musste, entfaltet zwar eindrücklich und schön durchhörbar die Details und die orchestralen Farben, aber gerade in den langsameren Teilen hängt das Tempo, fehlt es an innerer Spannung und Dynamik.
Allmählich steigende Intensität
Im zweiten Akt – mit dem Fest zum Namenstang von Tatjana – kommt Zug in den Abend, verdichten sich Regie und Musik, der Chor des Theaters Basel bringt musikalisch zudem viel Spannung in die Festszenen. Nur das Couplet, das Triquet (wunderbar Karl-Heinz Brandt) für die verzweifelnde Tatjana singt, nimmt Nielsen arg langsam.
Onegin provoziert hier die Eifersucht seines Freundes Lenskij, des Dichters der Tatjanas Schwester Olga über alles liebt. Die Naive merkt nichts, geniesst es, umworben zu werden (Altistin Larissa Schmidt gibt ein glaubwürdiges Rollenporträt). Lenskij ist tief verletzt, fordert Onegin zum Duell auf. Andrej Dunaev ist mit seinem hellen, höhensicheren Tenor der richtige Lenskij, mimt eindringlich den seelisch verwundeten Dichter. Vor dem Duell bewegt er tief mit der Arie, mit der sich Lenskij verloren vom Leben verabschiedet.
Mit dem Duell wechselt die Farbe im Bühnenraum. Weisse Vorhänge decken das Erdige dunkelbraun zu. Das Weiss steht für die Kälte, die Onegin umgibt, der im Duell ohne Mitleid seinen Freund wie nebenbei erschiesst und wieder in Melancholie versinkt. Bei einer Gesellschaft des Fürsten Gremin (grandios und stimmmächtig gesungen von Bass Liang Li) begegnet Onegin Tatjana wieder, die als Gemahlin des Fürsten im Glanz steht. Nun will er sie haben, umwirbt sie, überfällt sie gar. Glaubt über sie doch noch ins Leben zu kommen. Sie weist ihn zurück – weil sie ihn noch liebt und hier zwar auch leidenschaftslos, aber zufrieden lebt. Onegin bleibt allein in seiner Leere, der Narziss ist tief verwundet. Dieser zweite Teil packt in seiner emotionalen Intensität und in den klaren Bildern – stark gestaltet von Eung Kwang Lee und Sunyoung Seo.