Tom Hellat, Tages-Anzeiger (27.01.2014)
Zu Beginn hört man nur das Klicken eines Feuerzeugs. Sonst ist da nur die weite Leere der russischen Landschaft, des russischen Lebens. Es ist das Leben der Gutsbesitzerin Larina und ihrer Töchter Olga und Tatjana. Vorne einige Einmachgläser mit Erdbeerkompott und im Hintergrund jene Birken, die der Russe bekanntlich so liebt. Auch der Protagonist Eugen Onegin liebt Birken - aber glücklich wird er dabei nicht. Denn «zur Seligkeit ist er nicht geschaffen».
In Tschaikowskys gleichnamiger Oper ist er ein von Freudlosigkeit erfasster Lebensbeobachter, hochmütig, als habe er früher schon gelebt und von dort mitgenommen, dass nichts auf der Welt der Liebe wert sei. In der Inszenierung Corinna von Rads gibt ihn der Südkoreaner Eung Kwang Lee allerdings mehr als gelangweilten James Dean mit Lederjacke denn als einen vom Weltekel gequälten Hochadligen. Kaum dass Onegin (sängerisch ausgewogen) die schwärmerische Tatjana auf demütigende Art zurückweist, schwingt er sich auf ein Karussell und zündet sich ne Zigi an. Mehr Coolness geht nicht. So wird Tschaikowskys Oper auf tableauhafte Bilder gespannt, in denen Kleines sich vollziehen kann, nur Grosses sich nicht ereignet.
Von all dem Unausgesprochenen aber erzählt Tschaikowskys Musik. Etwa bei Andrej Dunaev als Lenskij: Er versteht es, seine helle, offene Tenorstimme prägnant zu führen. Und das Sinfonie-Orchester Basel unter der Leitung von Christoph Gedschold schafft es wunderbar, sich musikalisch den Sängern anzuschmiegen. Den Höhenpunkt bildet aber Sunyoung Seo als Tatjana. Wie sie in der Schlussszene Onegin verschmäht, ihn aber noch immer liebt. Wie sie nichts vergisst, doch alles bewältigt. Wie sie neue Lebensschichten über Unabgegoltenes legt - so lässt Seo in den samtenen Höhen ihrer Stimme die Abgründe einer russischen Seele aufscheinen.