Michael Eidenbenz, Tages-Anzeiger (14.02.2006)
Mit «La finta giardiniera» liefert das Zürcher Opernhaus einen feinsinnigen Beitrag zum Mozart-Jahr. Am Sonntag war Premiere.
Es dauert einige Zeit, ehe sich erstmals einer jener magischen Momente einstellt. Eine jener mozartschen Verwandlungen, in denen die Musik sich plötzlich ihre eigene Wirklichkeit schafft, jenseits der vordergründigen Sorgen und Nöte der Figuren, jenseits eines in seinen dramaturgischen Fugen ächzenden Librettos. Im kaum hörbaren Pianissimo lässt Dirigent Nikolaus Harnoncourt die gedämpften Streicher anheben, um der Cavatina «Geme la tortorella» den zarten Boden zu bereiten, mit der die falsche Gärtnerin ihre echten Schicksalsklagen singt. Und erstmals schiebt sich damit die Welt der ernsten Gefühle in ein Geschehen, das bisher buffoneske Tändelei war.
Die beiden Welten werden in der Folge nebeneinander stehen bleiben. Sie zu einer höheren Gefühlswahrheit zu verbinden gelang dem 19-jährigen Mozart noch nicht, als er 1775 mit seinem achten Bühnenwerk für drei Vorstellungen einen kurzen Überraschungserfolg in München feiern konnte. Ja, die Spekulation ist wohl nicht allzu gewagt, dass das Stück sich kaum in die Gegenwart gerettet hätte, hiesse der Komponist nicht Mozart. Nun heisst er aber so. Und das Wissen darum, was aus all den hier bereits angelegten Ansätzen von der so menschlich nahen musikalischen Rede bis zur ambitiösen Dramatik der Akt-Finali in den späteren Meisterwerken noch werden wird, verpflichtet in unserem ohnehin retrospektiven Opernbetrieb dazu, sie auch in ihrem Frühstadium ernst und sorgfältig zu betrachten.
Für Nikolaus Harnoncourt ist das eine Selbstverständlichkeit. Die Schönheiten und die dramatischen Einfälle der Partitur zugespitzt herauszustreichen, scheint ihm spürbare Lust zu sein. Das opernhauseigene Orchester La Scintilla liefert ihm dazu die Farben von Darmsaiten, alten Holzblasinstrumenten und gestopften Hörnern so behände und wach, wie es von diesem längst bewährten famosen Klangkörper nicht anders zu erwarten ist. Statt unsichtbar im Graben spielt es auf erhöhtem Podium und wird damit auch optisch unmittelbarer Teil des Geschehens.
Ohne putzige Lustigkeit
Regisseur Tobias Moretti zieht daraus gerne komischen Nutzen, etwa wenn Konzertmeisterin Ada Pesch eine posierende Gruppe auf der Bühne knipsen darf, oder wenn der Podestà Don Anchise Geldscheine an jene Flöten, Oboen, Pauken und Trompeten verteilt, die ihm zuvor, von Mozart zu einer hübschen Parodie genutzt, seinen erotischen Gefühlstumult musikalisch illustriert haben.
Im Übrigen würzt Moretti diesen ersten Buffo-Akt zwar mit der gebotenen Komik, aber ohne jene putzige Lustigkeit, die so oft droht, wenn Opernregisseure zu Humorigkeit genötigt werden. Im Innenhof eines modernen Wohnblocks situiert Rolf Glittenbergs helles Bühnenbild das Geschehen. Natürlich wird gegärtnert. Stachliges, nämlich Kakteen und Rosen werden gezüchtet, der Boden ist mit abgeschnittenen Zweigen übersät, die als fortwährendes Stolperhindernis dienen, und auf dem Dach wächst ein üppiger Garten in den sonnig blauen Himmel.
In diesem Kontrast von architektonischer Geometrie und triebhaftem Wuchern treffen sich also alle zu ihrem verwechslungsreichen Stelldichein. Der paschahafte Podestà etwa, dem Rudolf Schasching körperlich und vokal voluminöse Präsenz verleiht, oder der Cavalier Ramiro, als ursprüngliche Kastratenrolle ein stilistischer Fremdkörper aus der Opera seria und von Ruxandra Donose koloraturensicher gegeben. Ihm wird, bebrillt und in einen Anzug gesteckt (Kostüme: Renate Martin und Andreas Dornhauser), von der Regie später die aufklärerische Funktion desjenigen zugedacht, der Licht ins Dunkel des Wahnsinns und der Verwechslung bringt, was freilich nicht ganz die erwünschte Evidenz erlangt. In der Limousine - wir sehen es per Video - fährt die zickig eitle Arminda im rosa Kostüm vor, im Topolino der schöne weiss gewandete Graf Belfiore, und beide werden noch ihre äusseren und inneren Kratzer abbekommen, was Isabel Rey mit allmählich dramatischerem Ernst und Christoph Strehl mit schöner lyrischer Geschmeidigkeit umsetzen. Auch das obligate propere Dienstmädchen ist in Gestalt der charmanten Julia Kleiter vorhanden, ebenso der Diener Nardo, als welcher Oliver Widmer, komödiantisch und sängerisch brillierend, sich in die burlesken Turbulenzen mischt und dabei auch mal einen Kaktus rasieren darf.
Der Angelpunkt des Geschehens aber liegt bei der falschen Gärtnerin, die in Wirklichkeit eine vermeintlich ermordete Marchesa ist, und als solche den entscheidenden Wandel vom buffonesken Kokettieren zu schicksalsgebeugtem Ernst zu vollziehen hat. Eva Mei entfaltet dabei sängerische Grösse, nicht nur in jener magischen Cavatina, sondern etwa auch, wenn Mozart zum Typus der hitzigen Agitata-Arie greift.
Gewitter und Wahnsinn
Sorgfältig und auch mit musikalischem Gespür führt Regisseur Moretti das vorzügliche Ensemble, im zweiten Akt dann greift er zu massiveren Regietheaterideen. Denn die Klärung der wahren Identitäten produziert zunächst nicht Auflösung, sondern Wahnsinn. Im Dunkel einer Gewitternacht erscheint das Bühnenbild nun kopfüber, die Personen haben allesamt ihre Doppelgänger erhalten, und das Quiproquo wird vollends undurchdringlich. Die Idee ist nicht neu, doch sinnreich und mit ästhetischem Sinn eingesetzt. Dass sie dennoch übers bloss Illustrative hinaus den erwünschten Wahrnehmungsumsturz nicht auch im Zuschauergemüt bewirkt, liegt am Stück. Allen musikalischen Kostbarkeiten und aller darstellerischen Sorgfalt zum Trotz mangelt den Figuren letztlich doch die psychologische Substanz, die das Schablonenhafte füllen würde. Der Schluss ist denn auch nur noch Alibi. Schnell hat sich alles versöhnt, die richtigen Paare sind verheiratet, und das Frühwerk hat sein Versprechen eingelöst: Vorbote zu sein für all die fundamentalen Einsichten ins menschliche Dasein, die Mozarts Schaffen noch zeitigen wird.