«Aus dir wird ein Muff!»

Marianne Mühlemann, Tages-Anzeiger (27.01.2014)

Príhody Lisky Bystrousky, 25.01.2014, Bern

Füchsin tot – Operation gelungen: Leos Janaceks Oper «Das schlaue Füchslein» im Stadttheater Bern begeistert als musikalische Fabel voller subtiler Anspielungen.

Wäre diese skurrile Geschichte bloss eine Tiergeschichte, sie wäre ja ziemlich schnell erzählt. Etwa so: Eine Füchsin wird vom Förster gefangen genommen und aufgezogen. Doch es gelingt ihr die Flucht zurück in den Wald. Hier macht sie mit einem Fuchsmann viele Fuchskinder. Doch eines Tages läuft sie einem Wilderer vor die Flinte und wird totgeschossen. Fertig.

Das wäre zu einfach für einen Leos Janacek. So simpel und linear geht das hier nicht. Der tschechische Komponist war schon fast siebzig, als er zwischen 1921 und 1923 seine Oper «Das schlaue Füchslein» komponierte und auf der Basis einer Fortsetzungsgeschichte, die er 1920 kennen gelernt hatte, auch das Libretto dazu verfasste. Es sei sein liebstes Werk, schrieb er in sein Tagebuch. Glaubt man gerne. Die Musik ist in farbige Tonalität getaucht. Die Leitmotive tauchen zuerst fragmentarisch und zum Schluss in grossen Gesten auf. Eine Fülle an musikalischen Einfällen zeichnet die Partitur aus, die auch von kernigen Naturlauten und Geräuschen (wie dem «Oh, oh, oh» des jammernden Füchsleins) lebt. Da wird keine nette Tiergeschichte aufgerollt, sondern eine differenzierte Fabel voller Anspielungen. Und wenn sie so schlau umgesetzt wird wie im Stadttheater Bern, schafft sie tatsächlich das Wunder und spricht Erwachsene und Kinder (ab 9 Jahren) an.

Klarheit statt Klamauk

Janaceks Spätwerk erfährt in der Regie von Markus Bothe und unter der umsichtigen Kapellmeisterin Mirga Grazinyté-Tyla eine schnörkellose und in allen Registern stimmige Umsetzung. Anders als in der legendären Berliner Inszenierung von Walter Felsenstein, durch die 1956 Janaceks «Schlaues Füchslein» den Durchbruch erlebte, setzt die Berner Inszenierung nicht auf romantisierende Realismusimitation. Also kein krautig wucherndes Waldgestrüpp, keine Bauernhof- und Wirtshausidylle. Klarheit statt Klamauk, so lautet die Devise.

Das gilt auch für die Personenführung. Bloss auf der Tapete grünen die Tännchen, man versteht den Wald trotzdem. Das Personal ist mit archetypischen Charakteren besetzt, zum Teil in Tier-Mensch-Doppelrollen. So singt und spielt Andries Cloete nicht nur die blutsaugende Mücke, die mit scharfer Kanüle den Förster pikst, sondern auch den miesepetrigen Schulmeister mit spitzem Gehstock. Der Pfarrer (Kai Wegner) wird zum materialistischen Dachs, dem die Füchsin den Bau abluchst. Die Schopfhenne (Yun-Jeong Lee) singt auch die Eule, ein Hinkebein mit Handtasche. Die Halbmasken (Kostüme Justina Klimczyk) machen fantastische Verwandlungen möglich. Wahrheit oder Traum?, fragt der Förster (Robin Adams). Das Stück gibt die Antwort: beides.

Es beginnt und endet in seiner Schlafstube. Der Förster liegt im Eisenbett. Da ist eine Holztür, die in die Realität führt. Und ein Schrank, auf dem ein ausgestopftes Füchslein steht: Er führt in eine fantastische Gegenwelt. Der Förster erinnert sich zurück an sein Leben und sein verpasstes Lieben. Die Sonnenblumen am Bett, die später als verdorrte Deko vom Himmel hängen, verweisen auf glücklichere Tage. Wie der Förster am Leben herum grübelt, stürzen die Fantasien als lebendig gewordene Waldtiere aus dem hölzernen Schrank. Das Dramolett nimmt seinen Lauf. Zum Schluss, wenn sich der sternenbesetzte Nachthimmel über der Bettstatt wölbt und das Berner Symphonieorchester aus den anfänglichen Tonfragmenten weite Kantilenen zieht, spürt man eine rätselhafte Heiterkeit. Nein, keine Traurigkeit, obwohl das Füchslein tot ist. Der musikalische Bogen markiert auch einen Lebensbogen. Der Tod gehört zum natürlichen Kreislauf dazu. So wird das Ende auch zu einem Anfang und trägt über den Schluss hinaus.Das Symphonieorchester agiert unter der Leitung von Mirga Grazinyté-Tyla klangprächtig und differenziert, setzt kraftvoll beredte Pausen und leitet die fragmentarischen Szenen stimmungsvoll ein. Etwa, wenn auf der Bühne aktuelle Themen angeschnitten werden, wie Beherrschbarkeit und Zerstörung der Natur, Geschlechterkampf, Unterdrückung der inneren Natur (Triebe). Hackordnungen gibt es bei Mensch und Tier. «Aus dir wird ein Muff!», droht der Förster dem Füchslein. Das droht den Hühnern. Der Gockel droht aus Prinzip, solange er noch kann. Es schrummt die Pauke, es brummt die Tuba, wenn das Tiervolk nicht ganz eigennützig für neue Ordnungen im Wald und freie Arbeitsbedingungen demonstriert. Die Tiere sind nur so weit vermenschlicht, als sich durch ihr Verhalten neue Interpretations- und Bedeutungsebenen freilegen lassen. Die komplexe Aufgabe hat der Regisseur geschickt gelöst. Der feine Humor vermag dem Ernst der Geschichte immer wieder die Spitze zu kappen.

Windige und Stimmgewaltige

Das Panoptikum aus Bildern und Seelenzuständen verbindet sich im Rückblick zu einem atmosphärischen Ganzen. Einzelfiguren bleiben haften: Camille Butcher gibt eine zauberhafte Füchsin, ausdrucksstark und in den Bewegungen geschmeidig (auch wenn man ihre Texte nicht immer versteht), Christina Daletska ist glaubwürdig als windiger Dackel und Fuchs. Claude Eichenberger überzeugt als quirlige Försterin, Pavel Shmulevich als stimmgewaltiger Wilderer Haraschta, der mit seinen plüschigen Stofftieropfern kein Federlesens macht.

Immer wieder erhalten der Projektchor des Theaters und der Kinderchor der Singschule Köniz Gelegenheit, die Bühne mit tierischer Präsenz zu bereichern; ihre Auftritte kommen nicht nur bei den Kindern im Publikum an. Auch wenn aus der Füchsin tatsächlich ein Muff wird, die Operation Oper ist gelungen.