Oliver Schneider, DrehPunktKultur (29.01.2014)
Vor 25 Jahren stand Cecilia Bartoli zum ersten Mal in einer Neuproduktion im Opernhaus Zürich auf der Bühne. Damals war sie der Cherubino in der von Nikolaus Harnoncourt dirigierten, legendären Figaro-Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle. Seitdem begeisterte sie das Zürcher Publikum in weiteren zwölf Neuinszenierungen und diversen Wiederaufnahmen.
Mit Händels „Alcina“ hat sie ihrem Repertoire eine weitere Rolle hinzugefügt, in der ihre emotional überragende Darstellungs- und ihre Gesangskunst perfekt zur Geltung kommen.
Wenn sich der Vorhang während der feurig musizierten Ouvertüre (Dirigent: Giovanni Antonini) hebt, blickt man auf eine nachgebildete Barocktheaterbühne (Bühne: Johannes Leiacker, Kostüme: Ursula Renzenbrink). Sechs Herren vollführen mit gebotener Distanz ein passendes Tänzchen; die Ballettmusik ist ansonsten gestrichen. Historisch-informiertes Spiel vom Orchestra La Scintilla im Graben und eine Händel-Oper gespielt wie im 18. Jahrhundert? Mitnichten, denn Regisseur Christof Loy nimmt das Barock-Operntheater mit seinen Illusionen nur als Metapher für das Zauberreich Alcinas, die schlussendlich trotz ihrer magischen Kraft nichts gegen die wahre Liebe ausrichten kann.
Bradamante, als Mann verkleidet, ist mit ihrem Vertrauten Melisso auf der Suche nach ihrem Verlobten Ruggiero, der bei Loy ähnlich einem Wilhelm Meister seine Liebe zum Theater entdeckt und dabei gleich das Interesse der Diva Alcina geweckt hat, die sich zu allem Übel auch noch in ihn verliebt hat. In ihren schwarzen Allerweltsanzügen wollen sie nur schlecht in die farbige Theaterwelt passen, wohingegen Ruggiero längst in Alcinas bunte Operntruppe integriert ist. Vom schönen Schein der Bühne bleibt freilich wenig in den Garderoben mit verblichenen Tapeten im zweiten Akt. Dort sitzen Menschen herum, die selbst längt illusions- und perspektivenlos geworden sind und die so oder ähnlich auch bei anderen Regisseuren die Bühne bevölkern könnten. Das Gleiche gilt übrigens auch für einen stummen (und überflüssigen) Cupido (Silvia Fenz) mit staubigen Engelsflügeln. Wenn die Operndiva Alcina ihr „Ombre pallide“ am Ende des zweiten Akts ohne Kostüm und damit ohne den Schutzpanzer der „Irrealität“ singt, wird ihr schmerzlich bewusst, dass alles um sie herum mit dem wirklichen Leben nichts zu tun hat. Genau wie die Liebe in ihrem Zauberreich „Bühne“ nichts mit der realen Liebe zu tun hat.
Rauchschwaden und geschwärzte Kulissen im dritten Akt zeigen, dass ein Brand eine nächste Aufführung von Alcinas Zauberreich verunmöglicht hat. Nur das schwarze Kostüm gibt der von der Operndiva zur erfolgslos um Ruggiero kämpfenden gewandelten Liebenden ein letztes Quäntchen Kraft, was die Bartoli mit überschwänglichem Temperament in ihrer Arie „Ma quando tornerai“ stimmlich zum Ausdruck bringt. Ebenso effektvoll reagiert Ruggiero Malena Ernman, der sich nun definitiv aus den Fängen Alcinas befreit hat, in „Sta nell’Ircana pietrosa tana“. Waren es die Tanzeinlagen (mit Herrenballett) und Liegestützen, die Loy der schwedischen Sängerin zusätzlich zu virtuosen Koloraturen und Verzierungen abverlangt, die es ihrer Stimme etwas an Durchschlagskraft mangeln liessen? Der großen Leistung der Ernman insgesamt tat dies am Premierenabend wenig Abbruch. Am Ende erschießt sie die machtlose Alcina, wonach der Leuchter im Zuschauerraum des Barocktheaters mit großem Getöse auf die Bühne kracht – Pate stand wohl der Leuchter im neobarocken Zuschauerraum des Opernhauses Zürich selbst. Alcina im weissen Kleid bleibt als Statute verewigt zurück.
Neben der Bartoli und der Ernman gestalten Julie Fuchs als Alcinas Schwester Morgana und Varduhi Abrahamyan als willensstarke Bradamante ihre Rollen ebenso souverän. Fabio Trümpy als Oronte und Erik Anstine als Melisso ergänzen das hochstehende Ensemble. Und welches Opernhaus hat schon das Glück, über ein so exquisites Ensemble für das Barock- und frühklassische Repertoire wie das Orchestra La Scintilla zu verfügen? Unter der Leitung von Giovanni Antonini, der mit der Bartoli bereits an den Salzburger Pfingstfestspielen Händels „Giulio Cesare“ und zuletzt Bellinis „Norma“ erarbeitet hat, musiziert das Orchester akzentuiert, mit glasklaren Soli unter anderem der Piccoloflöte, und in stets wachem Dialog mit dem Bühnengeschehen.