Abschied von der Monumentaloper

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (04.03.2014)

Aida, 02.03.2014, Zürich

«Aida» ist und bleibt ein Problemfall. Die neue Produktion von Verdis beliebtem Stück im Opernhaus Zürich lässt es im Musikalischen erkennen. Szenisch bietet sie dagegen einiges an Anregung.

Die Zeiten, da der Triumphmarsch zu mächtigem Gepränge genutzt wurde, sind ja keineswegs vorbei. In Stadien wie der Arena von Verona geht es nicht ohne, und in der Mailänder Scala hat Franco Zeffirelli 2006 noch einmal kräftig in den Fundus gegriffen. Selbst als Giuseppe Verdis «Aida» von der Pariser Oper im vergangenen Herbst einer radikalen politischen Deutung unterzogen wurde, mochte der Regisseur und Bühnenbildner Olivier Py nicht von einer Goldorgie absehen. Trotz alledem ist es zweifellos so, dass der Triumphmarsch herkömmlicher Art seine Halbwertszeit überschritten hat – anders gesagt: dass die Auffassung von «Aida» als einer Grand Opéra mit leisem Finale obsolet geworden ist.

Blick auf die Figur

Inzwischen versteht es sich nämlich von selbst, «Aida» als Werk ernst zu nehmen, mithin nicht mehr als reines Ausstattungsstück zu sehen. Den Weg dazu bereitet haben Wieland Wagner in den sechziger Jahren und Hans Neuenfels mit seiner memorablen Frankfurter Produktion von 1981; dazu kommen Peter Konwitschny mit der nicht weniger denkwürdigen Grazer Inszenierung von 1994 und Nikolaus Harnoncourt, der drei Jahre danach im Opernhaus Zürich «Aida» als das pure Gegenteil zur Triumphmarsch-Ästhetik erstehen liess. Was ist damals nicht gelärmt worden bei der Premiere, und wie hartnäckig ist danach an der Produktion herumgemäkelt worden – Tatsache ist, dass die 2001 entstandene CD-Aufnahme von «Aida» mit Harnoncourt Interpretationsgeschichte geschrieben hat.

Auch die neuste Inszenierung von Verdis «Aida» im Opernhaus Zürich hat Unmut ausgelöst. Das ist kein Wunder, nimmt die Regisseurin Tatjana Gürbaca doch den von Harnoncourt 1997 ausgelegten musikalischen Faden szenisch auf. Wie der Dirigent damals die Oper Verdis als ein Stück Kammermusik ausgelegt hat, zeigt sie die Regisseurin als ein düsteres Seelendrama, dessen schicksalshafter Grundzug fast an Ibsen denken lässt. Radamès ist für eine glanzvolle Laufbahn bestimmt und erhält den ehrenvollen Auftrag, als Anführer gegen den Feind zu Feld zu ziehen; Orden und die Hand der Königstochter Amneris winken – aber seine Liebe gilt Aida, die hier nicht eine Sklavin ist, sondern, schlimmer: eine Schwarze und eine Putzfrau, die, während im Tempel rituelle Handlungen vollzogen werden, von Hand und auf Knien den Boden zu säubern hat (ein in seinem heiklen Assoziationsfeld vielleicht doch zu bedenkliches Bild). Die Liebe führt in den Tod, es ist bekannt.

Alles, was nicht zum Kern der Geschichte gehört, was Einkleidung und eine von Verdi aus taktischen Gründen gewählte Couleur locale ist, bleibt in der neuen Zürcher «Aida» in den Hintergrund gedrängt. Und das ist wörtlich zu nehmen. Der Bühnenbildner Klaus Grünberg hat einen Salon neureichen Zuschnitts gebaut, der von transparenten Tüllvorhängen umgeben ist; was an «Aida» öffentlich ist, spielt sich jenseits dieser Vorhänge in der Weite des Bühnenhintergrunds und somit nur halb sichtbar ab. Jeder Anklang ans Ägyptische ist getilgt, die Kostüme von Silke Willrett zeigen vielmehr Typen von heute: den zum höheren Bürger gewordenen König, den an der Erhaltung des Status quo arbeitenden Oberpriester mit seinem Stehkragen, den Haudegen aus dem gegnerischen Lager mit seinen Army-Stiefeln. Der Triumphmarsch als solcher ist gar nicht sichtbar; an seine Stelle treten kurze Tableaus im Hintergrund, die von den Versehrungen des Krieges zeugen – und da ist es dann wieder, das berühmte Bild aus Vietnam mit dem Gefangenen und dem Kämpfer, der ihm den Revolver an die Schläfe hält. Es kam schon in der Zürcher «Aida» von 1997 vor.

Zwei grosse szenische Effekte hat Tatjana Gürbaca dennoch eingebaut. Wie Aidas Vater Amonasro auf den Plan tritt und die Brisanz der Beziehung zwischen Radamès und Aida offenkundig wird, wie sich also der Fokus des Dramas nochmals verengt, heben sich die Tüllvorhänge und weitet sich die Bühne. Und später, vor dem vierten Akt im Felsengrab, fällt auf einen Schlag ein Regen von Gipspartikeln aus dem Schnürboden, so dass die Bühne restlos zerstört wirkt. Abgesehen davon lebt die Produktion ganz von der Fokussierung auf die Figuren und der Feinarbeit an ihnen – was szenisch mehr Gewinn abwirft als musikalisch. Aleksandrs Antonenko ist ein Radamès aus dem Bilderbuch: stimmlich grandios, auch wenn er sein hohes d am Ende von «Celeste Aida» forte singt, wo die Partitur doch ein Morendo verlangt, und darstellerisch souverän in der Zeichnung eines durch den Krieg gebrochenen Helden.

Wenig steht ihm Latonia Moore als Aida nach, doch ist sie gern zu laut – und nicht selten ungenau in der Intonation. Als Amneris ist Iano Tamar eine packende Darstellerin; wie sie ihre Rivalin Aida mithilfe von Ohrringen in die Enge treibt, am Ende aber vor dem unbeugsam ablehnenden Radamès verzweifelt, lässt sie als ebenso leidende wie ehrgeizige Frau erkennen. Mit der Intonation und der Stimmführung hat sie indessen ihre Probleme. Kopf- und Brustregister sind schlecht miteinander verbunden, die Tiefe ist schwach und geht darum im Instrumentalen unter. Ähnlich ergeht es Andrzej Dobber als Aidas Vater Amonasro – aber nicht weil er über zu wenig Kraft verfügte, sondern weil er die Phrasen in nuanciertem Piano ausklingen lässt und das Orchester ihm dabei die Gefolgschaft verweigert. Im Übrigen ist der Anführer der Äthiopier ein Mannsbild von bezwingender Autorität, während der ägyptische König als ein degeneriertes Weichei erscheint – Pavel Daniluk zeigt das meisterhaft. Die Fäden in der Hand hat in dieser politischen Konstellation die Geistlichkeit; mit seiner Donnerstimme lässt Rafal Siwek als Oberpriester Ramfis daran keinen Zweifel.

Der Chor als Problem

Eher schale Gefühle hinterlassen die musikalischen Kollektive. Der von Jürg Hämmerli vorbereitete Chor wirkt jämmerlich – weniger bei den Männern als bei den Frauen, deren vibratoreiche Stimmen keineswegs zusammenfinden. Dazu kommt, dass die einzelnen Chorgruppen bisweilen weit voneinander entfernt placiert sind, so dass klangliche Homogenität ein Wunsch bleibt. Auch das von Fabio Luisi geleitete Orchester Philharmonia Zürich hat noch Potenzial. Der leise Anfang geriet verwackelt, die klangliche Balance rief rasch nach Verfeinerung, die Lautstärke könnte da und dort noch eine Stufe zurückgenommen, das Rhythmische dafür noch um einen Grad geschärft werden. Mag sein, dass da noch etwas reift.