Liebeslust zur Musik des jungen Mozart

Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (14.02.2006)

La finta giardiniera, 12.02.2006, Zürich

Eine Mozart-Sensation am Opernhaus: «La finta giardiniera» mit Nikolaus Harnoncourt am Pult, dem La-Scintill»-Orchester und den Zürcher Mozart-Sängern ist ein amüsanter Hochgenuss.

Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: «La finta giardiniera» ist ein vierstündiges «dramma giocoso», eine «Faschings»-Komödie für die Münchner Hofoper von einfachstem Zuschnitt.

Und was macht der 18-jährige Mozart aus diesen ewiggleichen Verwechslungs- und Intrigenspielchen? Er lässt seiner Phantasie freien Lauf, amüsiert sich an jeder Figur, schlüpft musikalisch in alle Regungen und wechselt zwischen falschen und echten Gefühlen, als wär's ein Kinderspiel. Solange dieser Opernabend auch dauert, man amüsiert sich köstlich dabei.

Nikolaus Harnoncourt hat mit dieser szenischen Realisierung der von ihm schon konzertant gegebenen «La finta giardiniera» dem Opernhaus Zürich einmal mehr eine echte Mozart-Sensation beschert. Ermöglicht haben ihm dies das von ihm initiierte La-Scintilla-Orchester auf historischen Instrumenten, ein agiles und hoch inspiriertes Ensemble, und das mittlerweile international gefeierte Zürcher Mozart-Sängerensemble. Es war auch eine kluge Entscheidung, für dieses Stück einem Schauspieler die Regie zu überlassen: Tobias Moretti führt Mozarts Figuren mit grossem musikalischem Verständnis auf der Bühne und setzt nicht irgendwelche Gags, sondern entwickelt sie ganz aus der Partitur heraus.

Ein Liebesgeplänkel

«La finta giardiniera» ist eine typische Liebesgeplänkel-Geschichte. Die «falsche» oder «so tun als ob» Gärtnerin ist eigentlich eine Gräfin (Arminda) auf der Suche nach ihrem Geliebten, der sie einst aus Eifersucht fast erstochen hätte. Nun steht dieser Conte Belfiore kurz vor der Heirat mit Sandrina, einer stinkreichen und ziemlich zickigen, aber vollbusigen Nichte des Gutsbesitzers Isabel Rey und Eva Mei sind in diesen Rollen nebeneinander und miteinander zu erleben und geben ihre Debüts mit stimm- licher Bravour und schauspielerischer Vitalität.

Mit verspielter Lust

Isabel Rey beginnt mit schlichter Zurückhaltung und gespielter Naivität. Ihr dramaturgischer Faden führt aus dem Gärtnerinnen-Versteck allmählich zum Lüften ihrer Identität. Wie Mozart diesen Balanceakt auskomponiert und mit höchster Präzision und verspielter Lust ausdifferenziert, das ist einfach fabelhaft. Und Rey steigert sich ganz subtil und bricht dann, in der Arie als verirrte Gräfin, in eine grossartige Dramatik aus. Ihre glockenreine, schlank geführte Stimme gewinnt mit jeder Arie an Farbe und neuen Facetten, während ihre Nebenbuhlerin (Eva Mei), die mondäne Braut des Conte, eine souveräne stimmliche Üppigkeit ausspielt. Das kommt auch so erfrischend rüber, weil Regisseur Tobias Moretti diese Mozart-Figuren ganz modern und doch stilisiert kleidet (Kostüme: Renate Martin und Andreas Donhauser). Es sind Leute von heute, und es sind doch die immerselben menschlichen Regungen.

Die Erde ist echt

Die Zeiten ändern sich, die Menschen nicht. Das Bühnenbild von Rolf Glittenberg ist ein stilisierter, mehrstöckiger Neubau in Weiss, in dem vier Fenster für kurze Videoeinspielungen von draussen genutzt werden. Die Erde der Gärtnerei ist aber echt, hier geht's um den Boden und die Beete, in denen neben den Rosen grosse Kakteen wachsen. In diesem Spannungsfeld von Stilisiertem und Realem gelingt Moretti eine bis ins Detail durchdachte Personenführung, die aus den Stereotypen quicklebendige und eigenwillige Figuren macht.

Nehmen wir das «Blondchen», hier das Zimmermädchen Serpetta. Julia Kleiter spielt sie mit herrlicher Bühnenpräsenz, bleibt aber trotz gesundem Selbstvertrauen einfach und herzerfrischend. Für die dunklen Töne sorgt von Beginn weg die Kastratenrolle des Cavalier Ramiro. Er wacht eifersüchtig und verletzt über die offizielle Verbindung der mondänen Sandrina, die er so gerne für sich gehabt hätte. Doch sie spottet nur über ihn. Ruxandra Donose vermag in den wenigen Auftritten als Ramiro eine hintergründige, melancholisch schillernde Farbe einzubringen.

Poltern, wenn's oben rumort

Und Nikolaus Harnoncourt singt und spielt mit seinem Orchestra la Scintilla mit, dass es eine wahre Freude ist. Hochkonzentriert und präzise, subtil zurückhaltend und augenzwinkernd, überraschend herausfahrend ins Tutti und mit den Naturhörnern reinpolternd, wenn's auf der Bühne rumort.

Geldscheine fürs Orchester

Herrlich die Arie des Podèsta, der davon singt, dass die Bratschen plötzlich melancholische Töne in seine Seele bringen, der die Fagotti und Oboi im Orchester mit fliegenden Geldscheinen bezahlt, damit sie seine Geliebte möglichst lange betören, und der schrecklich leidet, wenn die Pauken stören.

Rudolf Schasching singt nicht nur diese herrlich komische Arie mit Bravour, er prägt den ganzen Abend mit enormem körperlichem Einsatz und vielschichtig beredtem Stimmeinsatz. Dass er bei dieser Wucht und Polterei die Kontrolle über seine Stimme nie verliert, ist schon grosse Klasse. Und neben ihm der grosse, schlanke Contino Belfiore mit blondem, schulterlangem Haar und mondäner Allüre. Christoph Strehl spielt diesen Typen gekonnt aus, überzeugt aber auch im Moment der Entdeckung seiner wahren Geliebten in Gärtners Schürze. Der Wechsel von der Show zur Betroffenheit gelingt ihm sehr überzeugend. Und auch Oliver Widmer ist als Gärtner Narado ein liebenswürdiger und stimmlich trotzig präsenter Bursche, der das Komödiantische ausspielt, aber nie überzeichnet.

Mozart zieht alle Register

Sicher, in diesem Frühwerk von Mozart wirken die einzelnen Szenen noch etwas gar lange ausgebreitet, es gibt etwas bemühende, das Werk in die Länge walzende Nebenstränge, und der gespielte Wahnsinn dauert und dauert. Doch Mozart überrascht immer wieder mit einer neuen interessanten Arie, und in dem Moment, als man schon fast abgehängt hat, da zieht er in der Szene der «Verwirrung in der Dunkelheit» alle Register. Tastend suchen sich die Paare, glauben die Geliebten vis-à-vis zu haben, und alles mündet in ein grandioses Ensemble-Finale. Schade, dass es danach mit der Geschichte noch weitergeht - Mozart hätte, wenn's nach ihm gegangen wäre, wohl hier aufgehört.