Der Held schläft während des Triumphmarsches vor dem TV ein

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (04.03.2014)

Aida, 02.03.2014, Zürich

Die Neuproduktion von Giuseppe Verdis «Aïda» stösst in Zürich auf Ablehnung.

Nicht alles war schlecht an dieser Zürcher «Aïda». Der Applaus blieb dennoch bescheiden, die Regisseurin wurde gar mit einem Buhsturm abgekanzelt, dabei hatte sich das Zürcher Leitungsteam im Vorfeld gegen alle «Aïda»-Konventionen fleissig die Köpfe rot geredet.

Weg vom «Elefantenpomp» («Tagblatt») wollte man kommen. Wie seit Jahren allüberall. Unser erster Satz in der Kritik nach der Zürcher Neuproduktion am 1. März 1997 lautete: «Es hätte der Antiabend schlechthin werden sollen, lauter Antihelden, Antimärsche, Antiballette.» Die Worte könnten auch jetzt wieder dastehen.

«Problem» Triumphmarsch

Zuerst noch eine kleine Zwischenfrage: Hat irgendjemand schon mal in einem Opernhaus einen «Aïda»-Elefanten gesehen? Sogar in der Arena di Verona fahren zum Triumphmarsch seit 2013 Gabelstapler auf.

Diese Oper, die wegen dieses von Fussballfans und den Werbern geliebten Triumphmarsches und des ägyptischen Kolorits so berühmt-berüchtigt ist, handelt von Liebe, Macht und Eifersucht. Feldherr Radames wird sowohl von der Königstochter Amneris als auch von der Sklavin wie Königstochter Aïda geliebt. Er entscheidet sich für Aïda – und gegen das Leben. Dazwischen gibt es mal Krieg, und in einer Szene werden die geraubten äthiopischen Schätze vorgeführt. Wer will, kann da Elefanten zeigen. Kurz und gut: In dieser Oper ist nichts vom erhabenen Freiheitsdenken wie bei «Don Carlo» und nichts Teuflisches wie in «Otello» zu finden. Die Liebe und die Liebesträume lenken alle szenischen Wege. Verdis Musik erzählt davon seit 143 Jahren. Das macht es nicht einfach, was auch Regisseurin Tatjana Gürbaca gemerkt haben wird.

Die Deutsche verlegt «Aïda» in die 1990er-Jahre. Man spielt in einem einzigen Raum, hinter Vorhängen läuft quasi die «ägyptische Aïda» mitsamt den Gesängen an die Gottheiten wie Phtha oder Isis und den Priestern ab. Anstelle des (langweiligen) Balletts gibts zur (langweiligen) Ballettmusik eine unnötige Mobilmachung zu sehen.

Immerhin: Gürbaca führt die Handvoll Personen exakt, und so werden die Überfiguren zu Menschen aus Fleisch und Blut, ihr Handeln bis in ihre Tränen nachvollziehbar. Gürbacas Mittel sind oft etwas gar einfach: Aïda schruppt den Boden, Radames wird zur Kampfmaschine für einen diktatorischen Herrscherclan und zum Kriegsgebrüll gibts fürs Volk Häppchen, Champagner und einen Fahnenschwinger (Achtung: Schweiz-Kritik!). Vom Krieg kehrt Radames traumatisiert zurück, gönnt sich ein Bierchen und schaut den Beginn des Triumphmarsches im TV an, um alsbald einzuschlafen. Auch im finalen Steingrab – hier eher der Diktatorenpalast nach einem Bombenangriff, den allein Aïda und Radames überlebt haben – kühlen sich die Todgeweihten mit erfrischenden Getränken die Wangen.

Das Gesangsensemble spielt bestens mit, singt aber bloss durchschnittlich. Die 34-jährige Latonia Moore (Aïda) ist ein Emotionsvulkan: Die Kraft ihrer Stimme ist riesig, die hohen Piani zeigen deren Grenzen auf. Iano Tamar singt die Amneris routiniert, aber reizlos. Eine schönere Stimme hat Andrzej Dobber (Amonasro), dem dramatischen Potenzial des grossen Duetts hilft das wenig. Aleksandrs Antonenko meistert den Radames sicher.

Handfeste Kammermusik

Naturgemäss redete auch in Zürich alles einmal mehr von der Kammermusik, die Verdi geschrieben hätte – als ob man hier 1997 nicht einen gewissen Nikolaus Harnoncourt als «Aïda»-Dirigenten erlebt hätte. Da wusste man dann, dass das Wort auch überstrapaziert werden kann. Nur konsequent, öffnet Fabio Luisi jetzt die Orchesterschleusen bisweilen mehr, als den Sängern lieb ist. Aber man muss sein Vorspiel gehört haben: Unheimlich, wie satt und eben doch durchsichtig das gestaltet ist! Wie klug Luisi im so genannten «Triumphmarsch» die Kräfte bündelt, ist erstaunlich, und wie verliebt er in seinen Verdi ist, hört man im Finale: Das Pianissimo ist nicht bloss Flirren, sondern eben auch Weg und Deutung. Doch kaum war es erloschen, gabs die lautstarke Quittung aus dem Publikum: «Vergogna!» («Schande!»).

Die «Schande» kennt auch ihre Befürworter. Tatjana Gürbaca wurde in Deutschland für solche Arbeiten zur «Opernregisseurin des Jahres» gewählt. Ob sich diese Art der Regie in Zürich als Repertoire-Säule bewährt? Intendant Andreas Homoki glaubt es. Er geht seinen Weg konsequent und folgt dabei dem Auftrag des Verwaltungsrates. Die einen nennen es mutig, die anderen einen Fehler.