Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (14.02.2006)
Vor 15 Jahren legte Nikolaus Harnoncourt eine CD-Aufnahme der «Finta giardiniera» vor, nun dirigiert er seine erste Bühnenproduktion. Regie führt Tobis Moretti - souverän und subtil.
Dem dramma giocoso «La finta giardiniera» kommt unter Mozarts frühen Opern eine besondere Bedeutung zu. Es ist die erste, die sich (einigermassen) im Repertoire halten konnte, und ist - nach «La finta semplice» - Mozarts zweite Opera buffa. Zwar komponierte Mozart damals lieber «serios nicht Buffa», wie er 1778 seinem Vater schrieb. Genau das, so scheint es, hört man der «Finta giardiniera», entstanden 1775, auch an: keine gleichsam eindimensionale buffa, sondern eine Oper, in der das oberflächenhaft Komische immer wieder ins Tragische umkippt, und sei es auch nur fingierte Tragödie.
Dadurch gewinnt diese Oper einen Ausdrucksgehalt und gewinnen vor allem die einzelnen Gestalten eine musikalisch-dramatische, wenn nicht gar psychologische «Wahrheit», welche weit über vergleichbare Opern der damaligen Zeit hinausragt. Jeder, der auftritt (mit Ausnahme vielleicht des Don Anchise), hat hier seine spezifische Rolle und spielt gleichzeitig eine andere Rolle. Daraus resultiert ein doppelbödiges Spiel, und zwar auf dem gleichfalls doppelbödigen Fundament einer tief lotenden Identitätskrise, welche einzelne der Figuren bis in den Wahnsinn treibt.
Alt und neu
Die damit verbundenen Gefühlsimplikationen - und vor allem der rasche Wechsel der Gefühle - schlagen sich in einer Musik nieder, die weit über alles damals Rollentypische hinaus reicht. Es ist, als würde alles schematisch Konventionelle durch Mozarts Genie den jugendfrischen Glanz des Originalen erhalten und als wäre umgekehrt dieses einmalig Neue gleichzeitig verankert in einer souveränen Beherrschung des althergebrachten Metiers. Selbst einige zeitbedingte Schwachstellen im Libretto vermögen uns heute kaum mehr die Ohren für das Besondere dieser «jungen» Musik zu verstellen (Mozart war neunzehn, als er «La finta gjardiniera» komponierte).
Das gilt erst recht, wenn Nikolaus Harnoncourt dirigiert. Unnachahmlich, wie er mit Mimik und Gestik das Barockorchester La Scintilla der Oper Zürich befeuert und es mit extremen Dynamiksprüngen zu gewaltigen, zuweilen fast gewaltsamen Gefühlsausbrüchen treibt. Da ist kein einziger Takt, dem er und die Instrumentalisten nicht Leben einzuhauchen vermöchten. Perfekte, subtile instrumentale Virtuosität, artikulatorische Finesse, agogische Flexibilität und ein stets anspringender Musizierschwung machen dieses Musizieren - und damit die ganze Aufführung - zum packenden Erlebnis.
Wie immer, wenn Harnoncourt dirigiert, erlebt man Mozart als genuinen Dramatiker. Keine Rede von oberflächlich süffigem Schönklang; im Gegenteil, aufgeraute Klänge im Orchester sind unüberhörbares Zeichen für blank liegende Nerven auf der Bühne. Dadurch gewinnt diese Musik etwas aufwühlend Zupackendes, als wäre sie aus dem Innern der jeweiligen Figur konzipiert und erfühlt, sozusagen ein intimes akustisches Kammerspiel.
Und parallel dazu inszeniert Regisseur Tobias Moretti auf der Opernhausbühne ein ebenso subtiles szenisches Kammerspiel. Wir befinden uns (im imposanten Bühnenbild von Rolf Glittenberg) im lichtdurchfluteten Innenhof einer mondänen, zweistöckigen Landhausvilla mit Fenstern und Laubengängen zu einem grossen Garten hin, wo Rosen und Kakteen gezüchtet werden - Sinnbild dafür, dass die Liebe auch Stacheln hat und verletzen kann. Immer wieder stolpern die Protagonisten, übrigens stilvoll mit heutigem Outfit als Menschen von heute gewandet, über Gartenabfall, der sich ihnen zwischen die Beine schiebt; sogar ein Klappstuhl fällt unter der Last des Don Anchise in sich zusammen...
Diese Menschen, das wird in Morettis souveräner Personenführung sofort einsehbar, haben keinen festen Boden unter sich, haben überhaupt oft Mühe mit der Orientierung. Nicht nur die jeweils sich Liebenden verfehlen sich immer wieder, zuweilen verfehlen sich sogar die Geschlechter. Ein vielschichtiges, doppelbödiges Rollenspiel burlesker Verkleidungen und Verwicklungen, aber auch tragischer Verwechslungen und Verstrickungen im Gesamtgefüge einer gesellschaftlich vorgegebenen Hierarchie, aus deren Fallhöhe die Komik der Situationen resultiert - im Tonfall wunderbar subtil dem «ciaroscuro» der Musik abgehört, wo düstere Verzweiflung und unstillbare Sehnsucht nach Liebe einander stets unmittelbar bedingen.
Hütchen und Hündchen
Die Sängerinnen und Sänger nehmen diesen Tonfall jeder auf seine Weise wunderschön auf, was zur Geschlossenheit des Ensembles entschieden beiträgt. Eva Mei gibt die als Gärtnerin verkleidete Sandrina ganz als empfindsame junge Frau, eine Idealistin unter vielen (angeblichen) Rationalisten und stimmlich eine feine Lyrikerin, die nur selten mal, dann aber virtuos entschieden, sich in dramatischen Koloraturen für ihr Recht einsetzt. Isabel Rey wiederum ist ganz «gentildonna milanese» mit Hütchen auf dem Haar und Hündchen im Arm, entschieden angriffslustig in Stimme und Statur und gleichzeitig voller Humor - bis dann auch ihr das Lachen vergeht. Rudolf Schasching stattet den Don Anchise mit Zügen Don Pasquales aus: ein urgesunder, gutherziger Geniesser auf der ganzen Linie, der den Flöten und Oboen im Orchester, wenn sie denn wirklich «con dolcezza» spielen, gerne etwas Geld zuwirft. Christoph Strehl mobilisiert als Contino Belfiore einen verführerisch introvertierten Charme - rein stimmlich ein genuiner Lyriker auch er, der seine Mozart-Kantilenen mit schier endlosem Atem zu verströmen versteht. Einzig Ruxandra Donose bleibt als Ramiro stimmlich etwas blass, was aber auch in der Figur dieses selbstverliebten Dichters und Musensohns angelegt ist. Dagegen liefern sich Oliver Widmer (Nardo) und Julia Kleiter (Serpetta) jene erheiternden Wortwechsel und Streitigkeiten, wie das in der Komödie traditionellerweise auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie, nämlich beim Bedienstetenpersonal, üblich ist: ein munterer, vitaler Kontrapunkt zu den ach so grossen Gefühlen, mit denen die hehre Herrschaft zu ringen bat. Zum Schluss begeisterte Beifallssalven für alle.