Die alles vernichtende Spielsucht

Verena Naegele, Basler Zeitung (08.04.2014)

Pique Dame, 06.04.2014, Zürich

Psychodrama ohne Zwischentöne: Tschaikowskys Oper «Pique Dame» in Zürich

Von Leidenschaft durchtränkte Liebe oder unermesslicher Reichtum, das ist das Thema von Peter Tschaikowskys Oper «Pique Dame», die auf der ersten psychologisierenden Erzählung der russischen Literatur basiert, auf Puschkins Novelle von 1834. Entgegen der Vorlage landet der Protagonist Hermann aber nicht im Irrenhaus, sondern ersticht sich im Wahnsinn des Spielrausches, und die Geliebte Lisa geht nicht eine Vernunftehe ein, sondern stürzt sich verzweifelt in die Newa – ein Operndrama vom Feinsten.

Allerdings erzählt Tschaikowsky die Geschichte nicht stringent, sondern durchsetzt den Ablauf immer wieder mit scheinbar episodischen Momenten: spielende Kinder im Sommergarten oder der Ballbesuch von Zarin Katharina mit einem prunkvollen szenischen Intermezzo. Solche Episoden bereichern die Geschichte mit üppigen Chören, linear-schlichten Vokallinien und farbenprächtiger Orchestration – Tschaikowsky pur.

Unausweichliches Unglück

Regisseur Robert Carsen fokussiert sich demgegenüber optisch wie szenisch ganz auf das surreal-bittere Psycho­gramm eines Spielsüchtigen. Dieser Fokussierung fallen nicht nur gestrichene episodische Momente zum Opfer, sondern auch die Ausstattung. Von Anfang an dominiert ein dunkelgrüner Raum mit wattierten Wänden, der Spielsalon mit Tischen und dunkel verhängten Leuchten ist omnipräsent, die Szene wirkt klaustrophobisch, die Katastrophe unausweichlich.

Carsen erzählt die Geschichte aus der Pers­pektive von Hermann, arbeitet mit eingefrorenen Standbildern, einheitlichen Smokinganzügen und schwarzen Kleidern. Die anderen ­Figuren sind vor allem Mittel zum Zweck. Logischerweise ist die Pause mitten im zweiten Akt, das Bett der Gräfin schwebt herab, Hermann stellt sich darauf und es regnet Spielkarten, derweil der Chor im Off die Ankunft der Zarin besingt – der Schlüssel zum Spielglück ist (scheinbar) gefunden.

Das macht durchaus Sinn, und aus dem Orchestergraben kommt dank dem Dirigenten Jiri Belohlávek auch eine geballte Ladung Dramatik. Ohne Rücksicht auf das kleine Opernhaus, üppig dunkel, mit viel (Bass-)Posaunen, ­dramatisch-dräuend, zuweilen nicht von letzter Präzision, aber packend und mitreissend farbig wird da die Musik ­zelebriert.

Der Chor als Schwachpunkt

Das psychologisierende Spiel steht ganz im Vordergrund, was aber auch heisst, dass die Sänger entsprechend ausgestellt sind. Aleksandrs Antonenko, der für den erkrankten Misha Didyk einsprang, meistert seine Monsterpartie mit virilem Tenor, kraftvoll und souverän, aber etwas wenig differenziert, was auch für sein steifes Spiel gilt. Anders Tatiana Monogarova, welche die verschmähte Lisa sehr engagiert, mit feinen, auch lyrischen Tönen – etwa im wunderschönen Duett mit Polina (Anna Goryachova) – singt.

Einen schweren Stand hat Doris Soffel, die als Gräfin szenisch in den Hinter­grund gedrängt ist. Ihre Stimme ist nicht mehr ganz frisch, aber das Keifend-Dämonische der Figur trifft sie souverän – packend, wie sie vor dem Sarg die Gewinnkarten bekannt gibt. Der Schwachpunkt der Produktion ist der Chor – da gibt es Unsauberkeiten am laufenden Band (Einstudierung Jürg Hämmerli). Zugute halten muss man dem Zürcher Opernchor, dass er als Protagonist der episodischen Teile in dieser Inszenierung optisch wenig brillieren kann. So singt zum Beispiel Brian Mulligan als Fürst Jeletzki sein arioses Bekenntnis für Lisa mit grossartigem Impetus, doch steht er wegen der Striche ziemlich isoliert da.

Ein packender Opernabend, dem aber eine gewisse thematische Ein­tönigkeit anhaftet.