Karl Harb, Salzburger Nachrichten (14.02.2006)
Vor knapp drei Wochen hat Doris Dörrie in Salzburg Mozarts "Finta giardiniera" bunt bebildert. In Zürich zeigt das Team Harnoncourt/Moretti absurden Hintersinn.
Von Nikolaus Harnoncourt durfte man erwarten, dass er nicht nur mit hurtiger Brillanz die Oberflächenreize des Dramma giocoso um die vermeintlich tote, aber in Gestalt einer Gärtnerin mehr als nur einen Dorfpascha in Verwirrung stürzende Gräfin bedienen würde. Harnoncourt blickt mit frischer Neugierde und jugendlichem Elan hinter allen schönen falschen Schein. Und er entdeckt mit dem Spezialorchester der Zürcher Oper "La Scintilla" eine von den ersten Hornattacken an immer absurder werdende, in den puren Wahnwitz kippende Verwechslungskomödie als Gefühlskatastrophe.
Der Narrenfreiheit Mozarts gehuldigt Mozart schien für diesen Karnevalsauftrag für München 1775 jede Narrenfreiheit gehabt zu haben. Und so werden Arien als freche Couplets maskiert, die Aktfinali zu verwirrenden Suchspielen, komödiantische Tonmalerei zu Slapstick. Die Turteltaube schnäbelt aufs Zärtlichste con sordino, und bis sich am Ende Gräfin und Graf (der beschuldigt wird, diese ermordet zu haben) in der jubilierenden Stretta des Schlussduetts endlich finden, durchlaufen sie in einer einzigen, genial somnambulen Nummer Höhen und Tiefen des sich Erkennens, sich Verlierens, sich Findens. Harnoncourt spielt mit höchster Lust gerade das Nichtdomestizierte dieses Jugend(genie)streichs in wilder Buntheit der Klangsprache aus.
Dafür gibt sich sein Regisseur, der musikalisch gebildete Schauspieler Tobias Moretti, als ein Szeniker zu erkennen, der den Wirrwarr nicht noch auf die Spitze treibt (wie Dörrie), sondern feinsinnig ordnet. Dass ihm dabei viele entzückende Details und Pointen der Bewegungs- und Personenführung einfallen, macht seine zweite Opernregie - nach "Don Giovanni", 2001 in Bregenz - zu einem sehr oft zündend-brillanten Vergnügen.
Schauplatz ist der Hof eines schicken Bungalows (Bühnenbild: Rolf Glittenberg), wie er dem hochgekommenen Bürgermeister eines florierenden Adria-Badeortes passgerecht anstehen dürfte. Auf dem Dachgarten wuchert es üppig. Der dicke, immer etwas kurzatmige Podestà (Rudolf Schasching) trägt das Dinnerjackett so penetrant wie das übertriebene Wahlwerbelächeln. Immerhin bringt ja seine blond aufgedonnerte Schwester Arminda als Society Lady in Rosa-Giftgrün einen ebenso blondmähnigen Grafen-Beau ins Haus, der seine Nase so hoch trägt, dass er mühelos in jedem Erdhaufen oder Kaktusbeet landet. Sein beiger Dandy-Anzug leidet darunter übel. Isabel Rey und Christoph Strehl bietet das wunderbar lachhafte Gelegenheiten zu komischster Übertreibung und für die stimmlichen Entsprechungen sopran-tenorale Verwandlungsmöglichkeiten: der Schöne und das Biest.
Gegärtnert wird im Hof sehr kultiviert. Das schlichte grüne Kittelkleid passt exzellent zum natürlichen Liebreiz von Eva Meis Sandrina. Ihr "Gehilfe" Nardo (mit vollschlankem Bariton: Oliver Widmer) ist ihr auf derselben Ebene verbunden. Was ihn in Rage bringt, so dass er gar mit dem elektrischen Haarschneider den Kaktus traktiert, ist seine Serpetta, die sich ganz schön zur Herrschaft hochgeschlängelt hat: ein modernes Kammerkätzchen mit prächtig schnurrendem Soubrettensopran (Julia Kleiter).
Verwirrter Außenseiter bleibt Cavalier Ramiro - Ruxandra Donose diesmal nicht in Rockerlederkluft wie bei Doris Dörrie, sondern bebrillter Stenz in rosarotem Anzug. Nicht nur, weil Harnoncourt ihr/ihm eine große Arie gestrichen hat, gerät sie/er ins Hintertreffen.
In der Nacht tauchen die Doppelgänger auf An vielen Kleinigkeiten zeigt sich, wie überlegt (und effektvoll!) Regisseur Moretti zu Werke gegangen ist und wie Harnoncourt bis in den italienischen Sprechdialog hinein augenzwinkernd das Spiel mitspielt. Zwischen Wahn(witz) und - mozartscher - Wirklichkeit hält diese Zürcher Aufführung, die am Sonntag Premiere hatte, eine schön ausgewogene Balance.
Selbst das eigentlich uninszenierbare zweite Finale, gegen das die Figaro-Gartennacht ein Spaziergang zu sein scheint, bekommt bei Moretti eine klug gedachte Fassung: Alle, die sich nächtlich suchen und dabei zu allegorischen Metaphern und Schäferspielfiguren Zuflucht nehmen, stoßen plötzlich auf ihre Doppelgänger, Spiegelbilder, Chimären. Der Trick ist schlicht, aber sinnig - wie das Meiste an diesem intelligent pointierten, vom Premierenpublikum widerspruchslos freundlich aufgenommenen Mozartabend.