Kind sein ist nicht immer ein Schleck

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (31.03.2014)

L'enfant et les sortilèges, 29.03.2014, Basel

«L’Enfant et les Sortilèges» von Maurice Ravel auf der Kleinen Bühne des Theaters Basel

Maurice Ravel (1875–1937) war ein kleiner, schüchterner Mann, der das Rampenlicht scheute und am liebsten in seinem Haus im Wald von Rambouillet sass, wo er nächtelang an seinen Partituren feilte, umgeben von Nippes und Erinnerungsstücken. An seiner elektrischen Eisenbahn soll er die allergrösste Freude gehabt haben. Einige Zeitgenossen hielten ihn daher für ein grosses Kind, was sicherlich ein Fehlschluss ist. Denn Ravel arbeitete mit unglaublicher Gewissenhaftigkeit an seinen Schöpfungen und tat alles, was er tat, mit höchstem Anspruch. «Jeder hat seine Schwächen», sagte er einmal, «meine besteht darin, nur in vollem Bewusstsein zu handeln.»

In einer Hinsicht aber war Ravel ein naiver Geist. Er kümmerte sich nicht im Geringsten um die Realisierungsmöglichkeiten seiner Werke. Nur so ist zu erklären, dass seine Oper «L’Enfant et les Sortilèges» (Das Kind und die Zauberdinge), an welcher er viele Jahre laborierte, nur eine Dreiviertelstunde dauert, aber 20 Gesangspartien aufweist und überdies ein volles Orchester verlangt. In der Basler Aufführung sind es noch 14 Sängerinnen und Sänger, die sich in die vielen Rollen teilen; das Orchester ist auf vier Musiker und einen Dirigenten geschrumpft. Aber auch in dieser instrumental ein wenig dürftig klingenden Besetzung war das Stück nur durch die Verbindung von Opernstudio und Musikhochschule machbar.

Singende Alltagsdinge

Die Basler Musikhochschule hat früher, noch unter dem Namen Konservatorium, ein eigenes Opernstudio unterhalten, das längst aufgegeben wurde. Durch die Zusammenarbeit mit dem Theater ergab sich für viele junge Sängerinnen und Sänger jetzt die Möglichkeit, in einer professionell umgesetzten, ernsthaften Komposition vor Publikum aufzutreten. Sie konnten am Samstag einen eindeutigen Premierenerfolg verbuchen. Unter der Regie von Barbora Horáková Joly und der musikalischen Leitung von Rolando Garza entstand eine Aufführung, die das Stück ohne allzu viel Gedankenballast umsetzt und den Reiz der singenden Gegenstände und Tiere fantasievoll auskostet.

Hauptperson ist «das Kind», mit kräftigem Mezzosopran gesungen und bewegungsfreudig gespielt von Nathalie Mittelbach vom Opernstudio des Theaters Basel. Die Mutter des aufmüpfigen Buben (Rita Ahonen) wirkt streng und unerbittlich – das Stück stammt aus einer Zeit, als ungehorsame Kinder noch «böse» waren und bestraft wurden.

Züngelndes Feuer

In knapp 40 Minuten durchlebt das Kind eine seelische Reise voller bald märchenhaft schöner, bald gruselig-­gespenstischer Abenteuer – eine Welt, in der es sprechende Möbel, umher­gehende Standuhren, singende Bäume und Tiere sowie sprechendes Tee­geschirr gibt. Dass dieses inmitten der französisch gesungenen Oper auf Englisch parliert, ist einer der vielen kleinen Scherze, die Ravel (Textbuch: Colette) in sein Stück eingeschleust hat.

Das Feuer züngelt feuerrot über die Bühne, die Prinzessin ist natürlich wunderschön, und die miauenden Katzen tauchen – wie Katzen so oft – lautlos aus dem Nichts auf. So hat hier alles seine Richtigkeit. Die Aufführung hat viel Tempo und ausnahmslos sängerisches Format. Man kann sie getrost auch Kindern ab zehn Jahren empfehlen.