Herbert Büttiker, Der Landbote (22.04.2014)
Mit «Ariadne auf Naxos» ist das Stadttheater Bern topaktuell im Hinblick auf die Geburtstagsfeier für Richard Strauss, der am 11. Juni hundertfünfzig geworden wäre. Ob er sich am Geschenk gefreut hätte, ist aber noch die Frage.
Die Reise nach Bern ist vielleicht doch weniger eine zum Geburtstagskind als zum irritierenden Regietheater der jungen, erfolgreichen Lydia Steier. «Ariadne auf Naxos» ist Theater im Theater und Strauss-Hofmannsthal selber führen einen Theaterdiskurs, in dem ein Komponist seine «heilige Musik» verteidigt und auf Befehl hin die lustigen Masken der Commedia dell’Arte und die hehren der Mythologie durcheinandergewirbelt werden. Ein theaterinterner Diskurs bestimmt nun auch die Berner Inszenierung mit einem programmatischen Finale, das für «Reinigung», für Konzentration auf das Eigentliche, auf die Musik und den singenden Menschen plädiert. So weit, so gut, aber besser wäre gewesen, die Einsicht wäre nicht als Ergebnis, sondern als Voraussetzung der Inszenierung ins Spiel gekommen.
Zerbinettas Zauberei
Die neue Strauss-Produktion im Theater Bern bietet mit einer tadellosen Ensembleleistung allerdings musikalisch Packendes und mit Uwe Schönbeck als Haushofmeister auch trocken-humorige Prosa. Da gibt es das Nymphen-Terzett und das Komödianten-Quintett, die alle Süsse und Spiellust der ebenso raffinierten wie scheinbar mit leichter Hand hingeworfenen Musik blühen lassen, und auch die grossen Partien sind mehr als ansprechend besetzt. Claude Eichenberger verausgabt sich glaubwürdig als blasierter bis verzweifelter junger Komponist, Kai Wenger ist mit stabilem Ton sein Musiklehrer und Andris Cloete hoch tönend als Tanzmeister sein brillanter Gegenspieler.
Was Bettina Jensen im Vorspiel als zickige Primadonna verspricht, löst sie als Ariadne mit sopranistischem Format voll ein – vom Szenischen abgesehen, wofür sie nichts kann: Es ist Trash-Theater. Mit heldischem, etwas gestautem Tenor betritt Michael Putsch als Bacchus die Bühne: aus einem Kühlschrank, blau und schrecklich anzusehen. Bleibt als sängerisches Highlight und unversehrt grossartige Bühnenfigur Zerbinetta: Die Koreanerin Yun-Jeong Lee hantiert mit Stock und Zylinder locker, während sie sich mit kernigem Sopran am Trapez der Koloraturen nonchalant über alle Abgründe und in alle Höhen hinauf singt, und sie beherrscht auch das Legato – spektakulär.
Das Inszenierungsteam – neben Lydia Steier Katharina Schlipf (Bühne) und Ursula Kudrna (Kostüme) – lässt Zerbinetta und ihre Komödiantentruppe statt Commedia dell’Arte und Unterhaltung im Wien des 18. Jahrhunderts Variété-Travestie und Firlefanz des 20. Jahrhunderts repräsentieren. Warum nicht? Strauss war mit seinen Stilparodien ja nicht nur Nostalgiker, sondern auch modern. Und vor allem: Die Sänger, die im letzten Moment die Variété-Show ins Stück einbeziehen sollen, haben ohnehin ein grösseres Problem: Sie sind mit einer Opernregie konfrontiert, die die «Wüste Insel» als Bühnen-Schocker inszeniert.
Hohl, verkopft, unverständlich
So brillant in manchem Detail der erste Teil des Abends die Turbulenzen schildert, die die überraschende Anordnung beim Theaterpersonal auslöst, so frustrierend der zweite. Wenn sich während des Vorspiels der schon greisenhafte Hausherr mit seiner langbeinigen Blondine zusammen mit dem Komponisten und dem Haushofmeister in die erste Reihe des Parketts setzt, freut man sich trotz der musikalischen Störung über den Einfall, der Vorspiel und Oper clever verbindet, aber dann wirds grauslich und wirr: Plüschtiere, Puppen auf einem Grill, die Bühne ein blutverschmierter Waschsalon, Sex mit Leichen und so weiter. Nicht dass wir einfach zu blöd sind, das alles zu verstehen und zu goutieren: «Wir spielen mit einer oft hohlen Präsentationskultur von verkopften, unverständlichen Regiekonzepten und einer extremen Darstellung von überzogenem Variété, die bei uns beide nicht im Dienste der Musik agieren», erklärt die Regisseurin im Programmheft selber.
Warum machen die Sänger das mit, warum reissen sie sich die unsäglichen Kostüme nicht vom Leib, fragt man sich und sieht mit dem Auftritt von Bacchus genau dies sich ereignen – als Inszenierung: Abschminken, Entrümpelung. In der Unterwäsche auf leerer Bühne finden sich Ariadne und Bacchus – und in der Musik. Mit dieser Verwandlung ist dann der Abend wieder bei Strauss-Hofmannsthal, aber wie? Muss der Erlösung der Oper der Gang durch die Regiehölle vorausgehen? Rechtfertigt Heilung mutwillige Verletzung?
Bewegendes Dirigat
Schwierige Fragen. Die Narben jedenfalls bleiben und das ungute Gefühl, dass im peinlichen Variété-Getue der Komödianten, in der zelebrierten Hässlichkeit der Nymphen und im monströsen Chargieren der Ariadne viel musikalische Substanz zerrieben wurde – schade um die Schlüssigkeit des Musikalischen, für das Kevin John Edusei am Pult sorgte, mit bewegendem Gespür für die suggestiven harmonischen Wirkungen, die melodische Polyfonie und ihre Dynamik, für das musikantisch Spritzige und die raunende Hintergründigkeit der Partitur.