Ariadne und der K(r)ampf der Theaterstile

Oliver Meier, Berner Zeitung (22.04.2014)

Ariadne auf Naxos, 19.04.2014, Bern

Variété gegen Regietheater: Konzert Theater Bern zeigt die Kammeroper «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss und übt sich in der Kunst, schlecht zu inszenieren – mit zweifelhaftem Ergebnis. Immerhin triumphiert die Musik.

Gab es in Bern je ein hässlicheres Bühnenbild zu bewundern? «Fuck Theseus» prangt an der Fliesenwand, hingeschmiert mit Theaterblut, das nach unten rinnt – zur Toilette. Daneben: schmutzige Waschmaschinen, ein überdimensioniertes Plüschtier, ein Sandstrandbild, das Ganze eingefasst durch einen rostigen Container. Oben: Regiegerümpel ohne Ende. Eine Lenin-Büste, ein Kitschjesus. Fehlt bloss: ein Hakenkreuz – das musste der Assistent eben wieder rausschaffen.

Frevelhafte Entweihung

Das ist sie also, soll sie also sein: Naxos, die griechische Insel, wo sich die Königstochter Ariadne wiederfindet, verraten und verlassen von ihrem Geliebten Theseus. Von einem «jämmerlichen Schauplatz» ist die Rede im Libretto. In Bern sieht es so aus, als hätte sich ein ambitiöser Jungspundregisseur vergriffen. Falsch: als hätte sich eine Horde von Regietheatervertretern darum geprügelt, «Ariadne auf Naxos» in eine moderne Bühnensprache zu übersetzen. Regisseurin Lydia Steier demonstriert das. Spöttisch. Hintersinnig. Heraus kommt eine Art Metainszenierung über eine Metaoper. Alles klar?

«Ariadne auf Naxos» (1912) ist eine Oper in der Oper. Wiens reichster Mann, ein übler Parvenü, lässt in seiner Residenz zwei Stücke aufführen – gleichzeitig, damit es noch für das grosse Feuerwerk reicht. Für die Posse «Die ungetreue Zerbinetta» steht eine Komödiantentruppe bereit, für «Ariadne auf Naxos» ein Opernensemble mitsamt dem Komponisten, der vor Wut schäumt: Es droht die frevelhafte Entweihung der hohen Kunst. Strauss liebte es, das Triviale und das Erhabene aufeinanderprallen zu lassen. In «Ariadne auf Naxos» lädt er mit der Opera seria (ernstes Musikdrama) und der Opera buffa (Opernkomödie) zwei Traditionen zum Duell. Regisseurin Lydia Steier arbeitet den Kampf der Kunstkonzepte plakativ heraus. Gegen das moderne Trashregietheater stellt sie das frivole Variété, vertreten durch die Commedia-dell'arte-Truppe um die kokette Zerbinetta. Steier inszenierte letzte Saison in Bern Mozarts «Entführung aus dem Serail» und wurde zur Gefangenen ihres Konzepts, das auf dem Papier besser funktionierte als auf der Bühne. Bei «Ariadne» ist das ähnlich. Viel wendet sie auf, um ein «Theater der verfehlten Mittel» zu persiflieren. Aber es ist keine leichte, romantische Ironie, die hier zum Zug kommt. Eher eine verkrampfte. Und im Überdrehen bleibt wenig Luft zur Entwicklung ernst zu nehmender Figuren. Das rächt sich am Ende, als sich die Protagonisten von allem Regiegerümpel befreit auf der leeren Bühne wiederfinden. So etwas wie Wahrhaftigkeit stellt sich da nicht mehr ein.

Verwandlungspathos in Dur

Der Triumph der Musik aber ist fassbar. Es ist ein Triumph gegen die Bühne. Ein subtiler indes, mal abgesehen von Strauss’ finalem Verwandlungspathos in Dur. Kevin John Edusei, der erste Gastdirigent, zeigt flexible Tempi und viel Sinn für die unaufgelösten Stilkontraste. Edusei spitzt gerne zu. Zugleich beweist er mit dem bläserstarken Berner Symphonieorchester, wie entspannt, schlank und komödiantisch-leicht Strauss klingen kann. Allerdings fehlte bei der Premiere deutlich noch der Feinschliff, auch bei der Koordination mit den Sängern. «Ariadne» ist eine Ensembleoper. Und Bern zeigt hier bis in Nebenrollen hinein eine starke Leistung, wenn auch die Textverständlichkeit teils sehr zu wünschen übrig lässt. Claude Eichenberger darf sich wieder mal entfalten– in der Hosenrolle als Komponist. Bettina Jensen als Ariadne steckt im Korsett des Regiekonzepts, bringt aber ihren Sopran im zweiten Teil wunderbar zum Blühen. Und fast schon fulminant präsentiert sich Yun-Jeong Lee als Zerbinetta. So hält die Berner Oper ihr musikalisches Niveau. Und für die Regie gilt mal wieder: die nächste, bitte.